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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
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daß die Injektion zu wirken angefangen und die Reise begonnen hatte.
    Daß ich im Sterben lag.
    Panik brach in mir aus; ich langte nach der Armspange, um mich davon zu befreien, doch meine Reflexe waren verlangsamt, und als der Impuls den linken Arm erreichte, war ich zu schwach, um ihn zu heben. Dr. Sorel (oder war es DeCandyle) sagte etwas, doch die Stimme verfehlte mich. Wieder versuchte ich, die Hand zu heben – ob erfolgreich oder nicht, weiß ich nicht mehr. Plötzlich überkam mich ein Gefühl von Scham, als sei ich bei einer Schandtat erwischt worden. Doch bald hatte sich dieses Gefühl wieder gelegt. Es war wie weggeblasen. Ich glaubte tatsächlich, einen Luftzug zu spüren, der durch eine neu geöffnete Tür hereinwehte. Meine Haut wurde kalt, schien sich zu weiten. Ich kam mir vor wie ein Luftballon, der aufgeblasen wird.
    In diesen ersten Momenten blieb aus, wovon schon so viele berichtet hatten: die Erfahrung, aufwärts zu schweben und auf den eigenen Körper herabzublicken. Vielleicht hatte ich wegen meiner Erblindung den Impuls verloren, auf mich ›zurückzublicken‹. Allerdings registrierte ich, nach oben zu schweben, schneller und schneller; und ich empfand keinerlei Wünsche, nichts, was mich mit unten verbunden hätte. Ich kam ins Schwindeln und fühlte mich wohl dabei; es war, als trudelte ich einem hellen Punkt entgegen, zu dem ich mich schon immer hin gesehnt hatte.
    Meine natürlichen Instinkte, die ich über all die Jahre als Ausgleich zu meinen künstlerischen Visionen sorgsam gepflegt hatte, waren mir irgendwie abhanden gekommen. Mir fehlte alle objektivierende Distanz. Ich war, was ich erlebte, oder anders ausgedrückt: Da war kein ›Ich‹, das das Erlebnis als solches wahrnahm. Darüber war ich froh wie über eine vollbrachte Leistung.
    In dem Moment, da ich mir dieses Vergnügens gewahr wurde, sah ich das Licht, ein Lichtgitter, auf das ich zuflog. Es war wie die Wasseroberfläche eines Teiches, in dem ich eine Zeitlang gesteckt hatte, so tief und so lange, daß mir der Anblick dieser Oberfläche fremd geworden war.
    Ich konnte wieder sehen! So selbstverständlich, als hätte ich nie zu sehen aufgehört, und dennoch erfüllte mich große Freude.
    Ich näherte mich dem Licht in allmählich langsamer werdendem Tempo; herumwirbelnd blickte ich ›zurück‹ oder ›nach unten‹, und mit einemmal erinnerte ich mich wieder an den sogenannten Wagen, meine Blindheit, mein Leben, meine Welt. In Lichtstrahlen sah ich Flecken wie Staubpartikel schweben und fragte mich, ob es das nun wirklich gewesen sein sollte. Noch während ich darüber rätselte, schwenkte ich wieder auf das Lichtgitter ein, das mich näher zog, fast wie mit Liebeskräften.
    In ihrer kurzen Einführung hatten Sorel und DeCandyle mich vor der ›Kälte‹ in der LAD-Zone gewarnt. Doch davon merkte ich nichts. Ich empfand nichts als Ehrfurcht und Frieden und mir war, als schaute ich von einen hohem Berggipfel hinab auf ein Wolkenmeer. Daß ich wieder sehen konnte, relativierte wohl das Erlebnis als solches; wahrscheinlich färbte auch mein Wissen darum ab, daß es mit mir nicht endgültig vorbei sein und daß ich bald wieder auf die Welt zurückkehren würde.
    Ich wandte mich dem Lichtgitter zu (oder wandte es sich mir zu?) und erkannte darin eine Zusammenstellung aus Licht und Licht, ganz ohne Schatten. Ich badete, schwebte darin und empfand dabei, was ich nur mit einem Orgasmus vergleichen kann, obwohl es viel länger anhielt, weder auf einen Höhepunkt hinauslief noch sich abschwächte – es war ein nicht enden wollendes Hochgefühl stiller Freude.
    War dies der Himmel? Ob ich zu diesem Zeitpunkt oder irgendwann später darüber reflektierte, weiß ich nicht mehr, denn Erinnerung, Wahrnehmung und Erwartung waren eins.
    Im Anschluß an dieses überaus wonnevolle Lichtbad, das eine Ewigkeit anzudauern schien (obwohl es in der LAD-Zone eigentlich kein Zeitempfinden gibt) spürte ich mich davontreiben, weg von dem Licht. Das Licht wich zurück, und statt dessen rückte von unten die Dunkelheit näher. Ich konnte im ›Fallen‹ sowohl nach vorn als auch zurück blicken, und angesichts der Dunkelheit hatte ich den unbestimmten Eindruck, als breiteten sich Arme aus, um mich willkommen zu heißen. (Mag aber auch sein, daß ich dies im nachhinein so deutete.)
    Und dann war ich wieder blind. Blind! Es zog mich zurück, Richtung Tod und ins Licht. Doch plötzlich durchfuhr mich ein scharfer Schmerz; gleich darauf ließ mich ein

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