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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
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zweiter Schlag zusammenzucken. Später erfuhr ich, daß man mich zu diesem Zeitpunkt mit Elektroschocks ins Leben zurückgeholt hatte.
    Ich spürte Hände auf meinem Gesicht liegen. Ich versuchte meine Arme zu heben, doch die waren offenbar festgeschnallt. Nein, ich war nicht gefesselt – die Arme waren leblos.
    Tot.
    Als Furcht zu bezeichnen, was ich empfand, wäre maßlos untertrieben. Zwar war mein Bewußtsein – oder meine Seele? – wiederbelebt, doch der Körper schien tot zu sein. Ich hatte keine Gefühl in meinem Gliedern, sie wollten mir nicht mehr gehorchen. Mein Mund stand offen; ich konnte ihn nicht schließen.
    Als mir dann nach Schreien zumute war, mußte ich feststellen, daß mein Atmung ausgesetzt hatte.
    Der dritte Elektroschock kam trotz der Schmerzen, die er mit sich brachte, wie ein herbeigesehnter Freund. Ich spürte zum ersten Mal in meinem Leben (wenn dies denn noch mein Leben war), wie mir das Herz sich in der Brust verkrampfte, nach Blut gierte. Ich hörte, wie es wieder zu schlagen anfing, wie das Blut durchs kalte Gehirn rauschte, wie rings um mich herum Schreie laut wurden.
    Es waren meine eigenen Schreie, die von den Wänden widerhallten.
     
    Ich muß wohl erneut das Bewußtsein verloren haben, oder vielleicht hatte man mir ein Mittel verabreicht, daß den Wiedereintritt ins Lebens schonend vonstatten gehen ließ. Erwachend atmete ich ruhig und entspannt; ich lag auf einem flachen, fahrbaren Bett. Auf meiner Blindenuhr erfühlte ich die Zeit: 16:03. Seit meiner Ankunft im Institut waren erst zwei Stunden vergangen.
    Ich hörte Stimmen und richtete mich auf. Es wurde mir ein Pappbecher mit heißem Tee und einem Schuß Bourbon gereicht. Meine Lippen waren taub.
    »Das erste Mal kann ziemlich rauh sein«, meinte DeCandyle.
    »Wie fühlen Sie sich?« fragte gleichzeitig Sorel. »Bleiben Sie bei uns?«
    Mir tat zwar alles weh, doch ich nickte.
    So fing meine Reise auf die Andere Seite an.
     
    »Die beiden sind mir nicht ganz geheuer«, sagte meine Ex, als sie mich, wie verabredet, um siebzehn Uhr abholte.
    »Sie sind in Ordnung«, entgegnete ich.
    »Die Frau hat kein Kinn, aber dafür eine um so größere Nase.«
    »Es sind nun mal Wissenschaftler und keine Models«, antwortete ich. »Mir kommt in dem geplanten Experiment die Aufgabe zu, trauminduzierte Bilder zu malen. Der optimale Job für einen Blinden.« Diese Falschaussage war mit DeCandyle und Sorel abgesprochen; die Wahrheit zu sagen, stand außer Frage.
    »Aber warum ausgerechnet ein Blinder?« wollte sie wissen.
    Meine Ex ist Polizistin. Ihr verdanke ich den Umstand, daß ich trotz meiner Erblindung infolge eines Verkehrsunfalls unabhängig geblieben bin. Sie hatte mich aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht und auf mich aufgepaßt, obwohl sie in Durham arbeitete, wohin sie täglich mit der Bahn hatte fahren müssen. Sie war es, die mit dem Makler verhandelt und mit meinem Honorar vom Mariana-Institut das Atelier in den Bergen eingerichtet hatte, in dem ich mich nun frei und problemlos bewegen kann (zuerst wie eine Puppe mit Hilfe von Seilen) vom Bett zum Bad, von der Küche ins Studio und so weiter.
    Sie war es schließlich auch, die unsere Scheidung vorantrieb und somit den Vorsatz wahr machte, den sie schon vor meinem Unfall gefaßt hatte.
    »Vielleicht brauchen sie jemanden, der mit geschlossenen Augen malen kann«, sagte ich. »Vielleicht bin ich der einzige Tölpel, der sich auf diese Sache einläßt. Vielleicht gefällt ihnen meine Arbeit, auch wenn dir das viel zu weit hergeholt erscheinen muß…«
    »Du hättest mal ihre Haare sehen sollen«, feixte sie. »Die sind weiß an den Wurzeln.« Sie bog von der Straße ab in die kurze, steile Auffahrt zu meinem Atelier. Der tiefliegende Streifenwagen kratzte mit dem Heck über die aufgerissene Asphaltdecke. »Der Weg muß unbedingt gemacht werden.«
    »Im kommenden Frühjahr«, versprach ich.
    Es drängte mich an die Arbeit. Noch in derselben Nacht begann ich – nach fast viermonatiger Schaffenspause – an einem neuem Gemälde. Es erschien dann in Kopie auf der Titelseite der National Geographic- Nummerzum Thema ›Unentdecktes Land‹ und hängt nun im Smithsonian. Sein Titel: Das Lichtgitter.
     
    Eine Woche später holte mich Dr. Sorel um zehn Uhr morgens von meinem Atelier ab. Am Türgriff erkannte ich, daß sie einen Honda Accord fuhr. So sehen Blinde Autos.
    »Sie fragen sich bestimmt, was ein Blinder mit einem Schießprügel anstellt«, sagte ich. Als sie angeklopft

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