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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
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einigermaßen unangenehm war. Statt Händchen zu halten, ließen wir es bei minimalem Kontakt bewenden.
    »Reihe einundvierzig, erste Insertion.« Klick.
    Ich merkte den Einstich, empfand wieder Scham und fühlte mich einem Luftzug ausgesetzt. Und dann schwebte ich wieder dem Lichtgitter entgegen. Zu meiner Verunsicherung konnte ich aber diesmal unter mir dunkle Umrisse ausmachen: die Maschine und zwei vornübergesackte Gestalten, wovon die eine wohl meine war – obwohl ich mich doch davonbewegte. Obwohl man sie, wie ich wußte, von Durham aus nicht sehen konnte, entdeckte ich dann in der Ferne den Blue Ridge und Mount Mitchell, die ich schon von allen Seiten und zu jeder Jahreszeit gemalt hatte. Daß diese Berge mir, dem Blinden, für immer verloren waren, stimmte mich tief traurig, doch dann löste sich diese Trauer wie auch das Bild der Berge in Licht auf. Das Licht! Von unten jagte ein Schatten herbei, der durch mich hindurch ging und als Licht aus mir heraustrat. Ich empfand dies als ein Anderer, als etwas halbwegs Separates, Weibliches, das aber nach wie vor Teil von mir war wie der benachbarte Finger einer Hand; und so miteinander verbunden trudelten wir auf das Lichtgitter zu. Wiederum spürte ich diese süße Wärme, die wie ein andauernder Orgasmus anmutete – obwohl von ›wiederum‹ genaugenommen nicht die Rede sein konnte: Jeder Moment war einzigartig. Das Lichtgitter blieb auf Abstand; es wirkte zum Greifen nahe und doch auch so fern wie eine Galaxis. Raum und Zeit waren ganz und gar undifferenziert. Irgendwie verdoppelte die mit mir verbundene Erscheinung meine eigene Ekstase. Ich kam in jeder Hinsicht verzweifacht vor.
    Dann zog mich etwas hinab; ich war allein. Wieder separiert, trudelte ich weg vom Licht, fühlte, wie die Wärme nachließ. Von dieser Warte aus wirkte das Leben so düster und einsam wie ein Grab. Wie vordem überraschte der Schock, diese Schmerzattacke, als das abgekühlte Blut wieder zu zirkulieren anfing…
    Und eine andere Dunkelheit brachte.
    »Zurückgeholt um siebzehn Uhr dreiunddreißig.« Klick.
    Ich befand mich wieder auf dieser Rollpritsche. Sorel war offenbar schon früher wiederbelebt worden; sie ging DeCandyle zur Hand. Ich hockte aufrecht da, benommen und stumm, während sie meine Atmung und Herzfrequenz aufzeichneten. Ihre Finger fühlten sich an wie immer, und ich fragte mich, ob wir uns im Tod bei der Hand gehalten hatten.
    »Wie lange?« fragte ich.
    »Ich dachte, wir hätten uns darauf verständigt, daß diese Frage nicht gestellt wird«, entgegnete DeCandyle. »Ich fahre ihn nach Hause«, sagte Sorel. Sie fuhr noch schneller als am Morgen. Während der fünfundzwanzigminütigen Fahrzeit hörten wir Radio – Mahler – und schwiegen vor uns hin. Es war nicht nötig, sie mit ins Haus zu bitten. Wir wußten beide sehr genau, wozu es nun kommen sollte. Ich hörte ihre Schritte hinter mir im Kies, auf den Eingangsstufen, in der Diele. Als ich mich niederkniete, um den Gasheizer anzuzünden – es war kalt geworden –, hörte ich, wie der lange Reißverschluß ihres Overalls aufging, und ehe ich mich ihr zugewandt hatte, war sie schon dabei, mir aus den Kleidern zu helfen, wortlos, geschickt und schnell. Ihr Mund war kalt. Auch die Zunge war kalt und die Brüste. Vollständig ausgezogen, ließen wir uns auf mein ungemachtes, kaltes Bett fallen, und ich ertastete den Körper, der mir fremd und doch so vertraut vorkam. Als ich in sie eindrang, war mir, als sei sie es, die in mich eindrang. Gemeinsam erreichten wir den Höhepunkt, auf eine Weise, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.
    Zwanzig Minuten später war sie wieder angezogen und verschwunden, ohne ein einziges Wort gesagt zu haben.
     
    Am Donnerstag kam meine Ex bei mir vorbei, um mich mit Fertiggerichten für die Mikrowelle zu proviantieren. Ihr Liebhaber – Verzeihung, Partner – blieb im Wagen sitzen und ließ den Motor laufen. »Du malst wieder?« fragte sie. Ich hörte, wie sie zwischen den Spannrahmen herumstöberte, obwohl sie wußte, daß ich das nicht leiden kann. »Prima. Es heißt, daß abstrakte Malerei therapeutisch recht sinnvoll ist.«
    Sie betrachtete offenbar gerade ›Das Lichtgitter‹ oder vielleicht ›Kreisel‹. Für meine Ex ist alle Kunst ausschließlich Therapie.
    »Damit hat es nichts zu tun«, antwortete ich. »Erinnerst du dich an das Experiment? An die Träume? Die Professoren der Duke University?« Ich verspürte plötzlich den törichten Drang, mich ihr zu offenbaren.

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