Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
und kühl.
    »Sorel«, sagte ich. Der Name Emma wollte mir nicht über die Lippen gehen. »Versuchst du, ihn zurückzuholen oder mit ihm zu gehen?«
    »Es gibt kein Zurück«, antwortete sie. »Nicht für Körper.« Sie drückte meine Hand an ihre Fingerstümpfe, dann an ihre kalten Lippen, dann zwischen ihre kalten Schenkel.
    »Also bleib doch bei mir«, sagte ich.
    Wir suchten einander mit tauben Lippen und Fingern. »Nimm den BH bitte nicht ganz ab«, sagte sie und zog nur ein Körbchen herunter. Die Brust war kalt und klebrig und süß. Allzu süß. »Zu spät«, antwortete sie.
    »Dann nimm mich mit«, sagte ich.
    Damit war unsere letzte Unterhaltung zu Ende.
     
    »Wie Stonehenge«, bemerkte meine Ex, als sie am folgenden Donnerstag mit Nachschub an Fertiggerichten für die Mikrowelle vorbeikam und durch meine Arbeiten stöberte. »Und was soll das sein? Mein Gott, Ray. Über Pornos läßt sich ja noch streiten, aber das hier, das ist…«
    »Wie gesagt, das sind alles Traumbilder.«
    »Um so schlimmer. Die willst du doch hoffentlich nicht ausstellen. Das ist verboten. Aber mal was anderes: Wo kommt eigentlich dieser Gestank her?«
    »Gestank?«
    »Dieser Verwesungsgeruch. Als steckte hier irgendwo ein totes Tier. Ich werde William kommen lassen, damit er mal unter den Dielen nachschaut.«
    »Wer ist William?«
    »Du weißt doch sehr wohl, wer William ist.«
     
    Samstag nacht weckte mich lautes Klopfen an der Ateliertür.
    »DeCandyle«, sagte ich. »Es ist zwei Uhr. Und wir sind erst für Montag verabredet.«
    »Ich brauche Sie jetzt«, entgegnete er. »Oder wir können den Montag streichen.« Ich stieg neben ihn in den Honda. Auch wenn er es eilig hatte, fuhr er langsam. »Ich kann Emma nicht zurückholen. Sie ist seit über vier Tagen in der LAD-Zone. So lange war sie noch nie weg. Das Stammgewebe fängt an zu zerfallen. Es sind schon ausgeprägte Anzeichen von Nekrose festzustellen.«
    Sie ist tot, dachte ich. Der Kerl bringt’s bloß nicht fertig, die Wahrheit beim Namen zu nennen.
    »Ich habe sie zu oft gehen lassen«, sagte er. »Aber sie hat darauf bestanden, wollte immer länger wegbleiben und immer tiefer vordringen. Sie ist besessen.«
    »Geben Sie Gas, oder es fährt uns noch jemand hinten drauf«, sagte ich. Ich wollte kein Wort mehr hören und schaltete das Autoradio ein. Wir hörten Carmina Burana, Lieder, die eine Pilgergruppe auf ihrem Weg zur Hölle vorträgt.
    Das paßte, wie ich fand.
     
    DeCandyle half mir auf die Rollpritsche, und ich ertastete einen geschwollenen, steifen Körper neben mir. An den Geruch gewöhnte ich mich schnell. Zögerlich und zaghaft steckte ich meine Hand in den Handkorb.
    Ihre Hand fühlte sich weich an, wie alter Käse, und statt wie sonst nach mir zu greifen, blieben ihre Finger schlaff. Natürlich, sie war ja tot.
    Ich wollte nicht gehen. Dagegen sträubte sich in mir plötzlich alles. »Moment«, rief ich und wußte doch, daß es zur Umkehr zu spät war. Er schickte mich ihr nach. Die Pritsche rollte schon, und die kleine quadratische Tür schloß sich mit leisem Klicken.
    Mich ergriff Panik; meine Lungen füllten sich mit dem sauren Geruch von Atropin und Formaldehyd. Ich spürte den Verstand auf ein handhabbares Maß schrumpfen. Meine Finger im Handschuh fühlten sich winzig, elend und verloren an, bis ich die ihren fand. Ich war darauf gefaßt, noch weitere Stümpfe zu ertasten, doch es waren nur die zwei. Ich beruhigte mich und wartete wie ein Liebender auf den Einstich, der mich… Oh! Endlich schwebte ich wieder frei, dem Licht entgegen, und sah das dunkle Labor von mir abrücken, die wie Glühwürmchen anmutenden Autos auf der Straße und die Berge in der Ferne, und mir wurde schlagartig klar, daß ich bei Bewußtsein war. Warum war ich nicht tot? Das Lichtgitter öffnete sich vor mir wie eine Wolkenbank, und ich stand plötzlich auf der Anderen Seite, allein; nein, sie war auch da, bei dem Anderen. Zu dritt trieben wir dahin, und die Zeit verlief im Kreis: Wir waren schon immer hier gewesen.
    Warum hatte ich überhaupt Angst gehabt? Es war doch alles so leicht. Wir befanden uns im Pferch, in einem Ring aus vielen aufrechten Steinen, die den Horizont säumten und so nahe beieinander standen, daß sie sich fast berührten, aber dennoch in astronomisch weitem Abstand voneinander. Und zu meinen Füßen erstreckte sich eine stille, schwarze Wasserfläche.
    Viel Dunkelheit, aber keine Sterne auf der Anderen Seite.
    Ich geriet in Bewegung. Das Wasser blieb

Weitere Kostenlose Bücher