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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich tot besser gekannt habe als lebend. Mir war eher wie bei einer Hochzeit zumute; als ich die Erde roch und auf den Sarg rieseln hörte, hatte ich das Gefühl, eine Braut aufzugeben.
    DeCandyle war auch zugegen, mit Handschellen an den Freund meiner Ex gekettet. Sie hatten ihn an der Beisetzung teilnehmen lassen, weil er der nächste Angehörige der Verstorbenen war.
    »Wieso das?« fragte ich.
    »Sie war seine Frau«, klärte mich meine Ex auf, als sie mich zu ihrem Wagen führte. »Studentenehe. Getrennt, aber nie geschieden. Ich vermute, sie ist mit dem Japaner durchgebrannt. Seinem ersten Mordopfer. Wie sich alles hübsch zusammenfügt, nicht wahr? Ja, das ist das Schöne an der Polizeiarbeit.«
     
    Der Rest der Geschichte ist bekannt, zumindest denjenigen, die die National Geographic lesen. Der Artikel war nominiert für den Ballantine-Preis. Dazu gehörten die ersten Bilder von der anderen Seite, dem fernen Reich oder, wie es Shakespeare wohl am treffendsten benannt hat: das unentdeckte Land. DeCandyle hat es sogar bis ins Magazine People geschafft:
    Der Magellan der Styx spricht aus seiner Zelle.
    Meine Ausstellung in New York war ein riesiger Erfolg. Der Verkauf einer limitierten Auflage von Drucken brachte eine erstaunliche Summe zusammen. Die Gemälde spendete ich (gegen Spendenquittung für die Steuer) dem Smithsonian.
    Als ich aus New York zurückkehrte, holten mich meine Ex und ihr Freund vom Flughafen Raleigh-Durham ab. Sie eröffneten mir, daß sie sich mit Heiratsabsichten trügen. Er sah unter den Dielen meines Ateliers nach, fand aber nichts. Sie ist schwanger.
     
    »Was habe ich da gehört wegen deiner Finger?« fragte mich meine Ex, als sie vergangenen Donnerstag anrief. Sie hat keine Zeit mehr, bei mir vorbeizuschauen. Eine Frau aus der Nachbarschaft kocht jetzt für mich. Ich erklärte ihr, daß mir die Kuppen zweier Finger abgenommen werden mußten und daß mein Arzt gesagt habe, ich wäre der einzige Fall von Frostbrand, der in diesem ungewöhnlich milden Winter in North Carolina verzeichnet worden sei. Dabei ist mir leider auch mein Fingerspitzengefühl für Malerei verlorengegangen, aber das braucht niemand zu wissen.
    Endlich ist wieder Frühling. Die Düfte feuchter Erde erinnern mich ans Grab, und es überkommt mich ein Verlangen, das meine Kunst nicht mehr stillen kann, und selbst dann nicht stillen könnte, wenn ich noch alle Finger beieinander hätte. Ich habe endgültig zu malen aufgehört. Meine Ex – Verzeihung, will sagen: die zukünftige Mrs. William Robertson Cherry – und ihr Freund – Verzeihung: Bräutigam – haben versprochen, mir einen Fahrer zu schicken, der mich zur Hochzeit kommenden Sonntag abholen soll.
    Aber vielleicht lasse ich mich entschuldigen. Hinter der Tür steht ein Gewehr mit silberner Plattierung, das ich, wenn mir danach ist, wie eine Rakete reiten kann.
    Ich hasse Hochzeiten. Und den Frühling.
    Und beneide die Lebenden.
    Und liebe die Toten.
     
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    Originaltitel: ›NECRONAUTS‹ • Copyright © 1993 by Playboy • Erstmals veröffentlicht in: ›Playboy‹, Juli 1993 • Copyright © 1998 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Windgassen
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Noch Fragen?
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    Willkommen.
    Ich freue mich, Sie heute morgen alle so herzerfrischend aufgekratzt und vor Eifer sprühend anzutreffen. Ich kann Ihnen auch versprechen, daß Sie am Ende unseres kleinen Exkurses noch wissensdurstiger und von noch größerem Eifer beseelt sein werden – immerhin haben Sie nicht den Weg hierher gefunden, um sich auf banale Weise unterhalten zu lassen. Sie sind gekommen, um sich tiefschürfend zu informieren, und damit wären wir beim Stichwort: Denn wo könnte man gewinnbringender ›schürfen‹ als im Erdreich – genauer gesagt: jener Erde, auf die die lukrativste Geldanlagemöglichkeit seit der Öffnung des amerikanischen Westens basiert?
    Also lassen Sie uns nicht lange um den heißen Brei herumreden, wie mein Großvater es ausgedrückt hätte. Wir sind hier zusammengekommen, um uns über das zu unterhalten, worüber die Leute im allgemeinen höchst ungern sprechen. Und das, obwohl es allgegenwärtig ist: Allein im zurückliegenden Jahr 1999 produzierte die New Yorker Durchschnittsfamilie 71,4 Kilogramm davon in einer einzigen Woche. Auf den Tag umgerechnet beträgt das Gesamtvolumen dieser einen Stadt folglich 590.277 Kubikmeter. In 16,4 Tagen entspräche das, ungepreßt, etwa den

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