Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
Doch Elton hatte so gar nichts von einem Skipper, während er die Unterlagen schnell durchblätterte. Danach sagte er mit Überzeugung:
»Lassen Sie uns hoffen, dass dies alles ist, was sie haben. Ich glaube, die bluffen nur. Und wenn das der Fall ist, sind Sie bald wieder ein freier Mann.«
Als das Verhör fortgesetzt wurde, war Norbakk durch eine junge Frau ersetzt worden. Sie sprach Bergenser Dialekt und war ziemlich hübsch, was beides eine beruhigende Wirkung auf Axel hatte. Auch ihre Stimme gefiel ihm. Darüber hinaus hatte sie jetzt die Rolle der Verbündeten und Wohlwollenden übernommen und wiederholte zunächst seine Rechte als Angeklagter. Ihr Name war ihm entgangen.
Viken machte da weiter, wo er ein paar Stunden zuvor aufgehört hatte. Warum war der Zwillingsbruder aus der Familie ausgestoßen worden? Warum hatte Axel in all den Jahren keinen Kontakt zu ihm gehabt? Wer konnte seine Existenz bestätigen? Doch keine dieser Fragen vermochte es, Elton aus der Reserve zu locken. Hingegen wollte er wissen, warum es nicht möglich gewesen sei, diesen Zwillingsbruder im Melderegister aufzuspüren. Nachdem er eine Erklärung erhalten hatte, riet er seinem Mandanten, sich so ausführlich wie möglich zu äußern.
Während der Unterbrechung hatte Axel in Ruhe nachdenken und sich darauf vorbereiten können, was er zum Thema Brede sagen wollte. Es sollte eine Version sein, die keine Unwahrheiten enthielt, aber Wesentliches ausklammerte. Die vielen Fragen, die ihm zu seinem Zwillingsbruder gestellt wurden, bestätigten etwas, wovon er bisher nur eine vage Ahnung gehabt hatte: dass Brede in die Ermordung der drei Frauen involviert war. Dennoch verwirrte ihn dies umso mehr, und als er gefragt wurde, warum er fast einen ganzen Tag lang durch die Nordmarka geirrt war, nachdem er den Leichnam von Anita Elvestrand entdeckt hatte, fiel es ihm schwer, eine Antwort zu finden. Viken beugte sich ihm entgegen. Er wirkte wie ein Jagdhund, der soeben die Witterung seiner Beute aufgenommen hatte. Ob er im Wald jemand begegnet sei? Ja, einem Obdachlosen. Er wurde aufgefordert, sein Aussehen zu beschreiben. Ob es nicht merkwürdig sei, dass er sich ständig im Wald aufhalte? Auch zum jeweiligen Zeitpunkt der drei Morde schien er dort gewesen zu sein. Ein ums andere Mal kam Viken darauf zurück, was er dort gesucht habe. Und jedes Mal fiel es ihm schwerer, sich um die wahre Antwort herumzudrücken.
Dann sagte Viken:
»Ich will Ihnen auf die Sprünge helfen! Manchmal ist es schwierig, einen Anfang zu finden. Doch ich versichere Ihnen, wenn Sie erst einmal eine gewisse Schwelle überschritten haben, wird Ihnen eine Last von den Schultern fallen.«
Seine Stimme hatte einen versöhnlichen und vertraulichen Klang angenommen. »Beginnen wir mit Donnerstag, dem 27. September.«
Er wiederholte ausführlich, was Axel ihm über den Ausflug in die Nordmarka erzählt hatte. Vom Bad im Weiher, der Fahrradpanne …
»Und dann begegnen Sie einer Frau, die Sie kennen, einer Physiotherapeutin, mit der Sie schon öfter zusammengearbeitet haben. Wir werden später darauf zurückkommen. Doch erst einmal wollen wir uns Ihrem familiären Hintergrund widmen, Herr Glenne.«
Viken begann von seinem Vater zu sprechen. Zeichnete das Bild eines Mannes, der von sich selbst und anderen immer das Äußerste verlangt hatte. Obwohl sein Sohn tat, was er konnte, war der Vater nie richtig zufrieden mit ihm gewesen. So hatte der kleine Axel stets Angst vor dieser Gestalt gehabt, die wie ein unnahbarer, strafender Gott über der Familie thronte. Doch Viken widmete sich vor allem der Mutter, die er als gefühlskalte und oberflächliche Frau bezeichnete, der ihre eigenen Interessen stets wichtiger waren als die Bedürfnisse ihrer Familie. Die ihren Sohn fortwährend herumkommandiert und gedemütigt hatte. Axel unterbrach ihn nicht und wurde immer verwirrter. Woher wusste Viken das alles?
»Sie haben sich einen Bruder gewünscht. Jemand, der all das Leid auf seine Schultern nehmen konnte, das Sie als Kind erfahren haben. Denn Sie waren sehr einsam, nicht wahr, Herr Glenne?«
»So einsam«, fügte er hinzu, »dass Sie sich den Bruder, den Sie nicht besaßen, erfinden mussten.«
Axel hätte am liebsten laut aufgelacht, aber dazu war er zu erschöpft. Das Lachen setzte sich wie ein Kloß in seinem Hals fest. Viken fuhr mit seinem Vortrag über seine Familie fort, sprach über Erwartungen und Abweisungen, Strafen und Gefühlskälte. Dann kehrte er plötzlich zu
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