Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
gerade den Raum verlassen, als sie auf Viken stieß.
»Wir fangen sofort an«, sagte er grimmig. »Aufs Klo kannst du später noch gehen.«
Viken schien keine Minute geschlafen zu haben. Er war unrasiert, und seine Augen waren noch stärker gerötet als sonst. Doch wie üblich trug er ein frisch gebügeltes weißes Hemd. Nina kam der Verdacht, dass er einen Vorrat davon in seinem Büro hatte.
»Das Verhör hat zu einigen interessanten Erkenntnissen geführt«, begann er. »Es hat sich bestätigt, dass Glenne für die fraglichen Zeitpunkte kein gesichertes Alibi besitzt. Auf viele Fragen hat er ausweichend und ungenau geantwortet. Ferner hat sich der Verdacht erhärtet, dass seine psychische Konstitution als anormal bezeichnet werden kann.«
Er machte eine kurze Pause.
»Ich habe Ihren Bericht aufmerksam gelesen«, warf Frøen ein, »aber nur wenig gefunden, was das Gericht beeindrucken dürfte.«
»Wir sind ja noch nicht fertig!«, bellte Viken, worauf der Ermittlungsrichter es vorzog, keine weiteren Kommentare von sich zu geben.
»Wir müssen einräumen, dass die erste Runde nicht die erhofften Resultate erbracht hat«, fuhr Viken in ruhigerem Ton fort.
Er wandte sich an Norbakk.
»Du hast mit den Kriminaltechnikern gesprochen?«
»Gerade eben«, bestätigte Norbakk. »Sie haben Glennes Villa, seine Praxis und die beiden Autos untersucht. Außerdem haben sie ein Team zu Glennes Sommerhaus nach Larkollen geschickt.«
»Was ist mit dem Fahrradanhänger?«
»Der wurde natürlich auch untersucht. Außerdem werden die Festplatten seiner beiden Computer überprüft.«
»Und?«
»Das ist ja schließlich eine Menge Arbeit …«
»Bis jetzt?«
Norbakk strich sich über das Kinn.
»Auf den ersten Blick haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Wenn wir von den Handschellen absehen, die wir in seinem Kleiderschrank gefunden haben.«
Während er das sagte, warf er Viken ein flüchtiges Lächeln zu, doch der hatte sich bereits brüsk zu Nina herumgedreht. Sie wusste, was nun kommen würde, und machte sich bereit.
»Was ist mit seinem Zwillingsbruder, den nie jemand gesehen hat, nicht einmal seine Frau in dreiundzwanzig Ehejahren?«
»Ich habe einen weiteren Versuch unternommen …«
»Einen Versuch?«
»Es gibt immer noch Computerprobleme. Derzeit ist es einfach nicht möglich, das Melderegister einzusehen, genauer gesagt, gewisse Bereiche …«
»Was? Unmöglich!«
»Das kommt wirklich extrem selten …«
»Du willst mir ja wohl nicht weismachen, dass du seit Stunden die Hände in den Schoß gelegt hast, während unser bescheuerter Computerexperte keinen blassen Schimmer hat, was los ist.«
»Ich habe die Geburtenstation des Rikshospitals angerufen, aber der Direktor muss persönlich genehmigen, dass solche Informationen herausgegeben werden. Ich wollte gerade noch mal anrufen und mich erkundigen, ob er inzwischen …«
»Das glaube ich einfach nicht!«, rief Viken. »Du hast in all der Zeit ein einziges Telefongespräch geführt?«
Seine kleinen Augen starrten sie durchdringend an. Nina spürte, wie sie regelrecht zusammenschrumpfte. Vielleicht werde ich ja so klein wie ein Teelöffel, schoss es ihr durch den Kopf, und dieser seltsame Gedanke ließ sie nervös auflachen.
»Ich hatte noch ein paar andere Dinge …«, begann sie kleinlaut.
»Du hättest verdammt noch mal selbst zum Krankenhaus fahren können! Muss ich dich daran erinnern, dass wir es mit einem skrupellosen Killer zu tun haben, der schon drei Frauen auf dem Gewissen hat? Um ihn aufzuhalten, müssen wir alle – ich wiederhole: wir alle! – vollen Einsatz zeigen.«
Sein Handy klingelte. Er schaute auf das Display.
»Das ist die Pathologie. Wir machen zehn Minuten Pause.«
Er verließ den Raum.
»Puuh!« Sigge atmete tief durch. »Bin ich froh, dass ich diesmal verschont wurde!«
»Er steht wahnsinnig unter Druck«, sagte Nina.
Sigge verdrehte die Augen.
»Als wenn er der Einzige wäre.«
Sie entgegnete nichts, nahm ihr Handy aus der Tasche und zog sich in einen Winkel des Raumes zurück. Eine Minute später hatte sie den Oberarzt der Geburtenstation am Telefon, erklärte ihm die Angelegenheit und unterstrich, wie dringlich sie sei. Er versprach, sich darum zu kümmern und in Kürze zurückzurufen.
Als die Besprechung fortgesetzt wurde, sah sie Viken an, dass er sich wieder beruhigt hatte.
»Entschuldigt die Unterbrechung«, begann er, und Nina fragte sich für einen Augenblick, ob er sich auch dafür entschuldigen
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