Die Bärenkralle: Thriller (German Edition)
wollte, sie so heftig attackiert zu haben. Aber das war nicht der Fall. »Der Anruf kam von Dr. Plåterud aus der Pathologie. Sie hat wirklich getan, was sie konnte. Glennes DNA-Probe ist bereits ausgewertet.«
Alle sahen ihm an, wie sie ausgefallen war.
»Es besteht keine Übereinstimmung mit dem Material, das wir unter den Fingernägeln von Anita Elvestrand gefunden haben.«
Jarle Frøen ballte die Hände und legte sie auf den Tisch. Sie waren so hässlich, dass Nina sie unentwegt anstarren musste. Sie waren groß und weiß, hatten vereinzelte rote Haarbüschel auf den Fingern und waren mit fast ebenso vielen Sommersprossen bedeckt wie sein Gesicht und der kahle Schädel.
»Die Verhandlung ist auf morgen, 18 Uhr, angesetzt«, gab er bekannt. »Das war der spätestmögliche Termin. Die Frage ist, ob wir ihn schon jetzt absagen und die Anklage fallenlassen sollen.«
Viken blickte zu Frøen hinüber. Nina sah, dass er Schwierigkeiten hatte, die Ruhe zu bewahren, die er sich während der Pause erkämpft hatte.
»Die DNA-Analyse hat womöglich nichts zu bedeuten«, sagte er. »Es gibt noch jede Menge Material, das analysiert werden soll. Ich habe gestern Abend mit einem ehemaligen Kollegen aus Manchester telefoniert, einem Mann, der sich bestens auf die Erstellung von Täterprofilen versteht. Er findet unsere Fälle hochinteressant und stimmt mit mir überein, dass die Bärenspuren eine Botschaft sind. Dasselbe gilt für die Tötungsart, die Inszenierung eines angeblichen Bärenangriffs. Er meint, wir sollten uns auf die Entschlüsselung dieser Botschaft konzentrieren und zu verstehen versuchen, was der Täter uns damit sagen will, und das als Ausgangspunkt zur Lösung des Falles nehmen. Ich fragte ihn nach einer möglichen Persönlichkeitsspaltung, und er sagte, dass es sich bei dem Täter durchaus um eine multiple Persönlichkeit handeln könnte. Dafür spreche zum Beispiel die kurze Zeitspanne, die zwischen den einzelnen Verbrechen liege. Wie Sie wissen, gehe ich davon aus, dass es diesen Zwillingsbruder gar nicht gibt …«
In diesem Moment meldete sich Ninas Handy.
»Scheint das Krankenhaus zu sein«, sagte sie und stand auf. »Sie wollten zurückrufen.«
Sie schnappte sich Stift und Notizblock, eilte auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Der Oberarzt hatte persönlich das Archiv durchgesehen und war dabei auf den Namen Astrid Glenne gestoßen. Nina war zu aufgeregt, um ihm dafür ihre Dankbarkeit auszusprechen. Sie musste sich ganz darauf konzentrieren, alles mitzuschreiben, was er ihr sagte.
Das Gespräch verstummte sofort, als sie in den Konferenzraum zurückkehrte. Acht Augenpaare waren auf sie gerichtet, während sie sich wieder auf ihren Platz setzte.
»Das war die Geburtenstation des Rikshospitals.«
Sie sah zu Viken hinüber, dessen Augen schmaler wurden.
»Wurde auch Zeit«, brummte er.
»Der Oberarzt der Abteilung hat sich persönlich darum gekümmert und alles stehen und liegen lassen, um …«
»Komm zur Sache!«
Nina schluckte ihre Verärgerung hinunter.
»Astrid Glenne hat in der Nacht zum 7. September 1964 zwei Jungen zur Welt gebracht. Der erste wurde ohne Probleme geboren. Der andere musste mit der Zange geholt werden. Er atmete nicht von selbst, musste wiederbelebt werden und lag anschließend mehr als drei Wochen lang im Brutkasten. Er hatte auch irgendwelche Krämpfe …«
»Schon gut«, sagte Viken, »wir brauchen nicht den ganzen Geburtsbericht.«
Sigge Helgarsson konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen:
»So verschwand Mr. Hyde, und zurück bleibt nur Dr. Glenne.«
Viken warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Es kommt nicht darauf an, ob es diesen Zwillingsbruder gibt oder nicht«, entgegnete er. »Über Isländer lässt sich viel behaupten, aber besonders helle sind sie wirklich nicht.«
Sigge fiel die Kinnlade herunter.
»Würdest du so über Schwarze reden, wärst du als Rassist verschrien!«
Viken machte eine abwehrende Handbewegung.
»Habe ich da Rassist gehört? Bevor die Amerikaner die Keflavik-Basis in Betrieb nehmen durften, mussten sie schriftlich versichern, dass kein einziger farbiger Soldat dort stationiert werden würde. So eine Angst hattet ihr Isländer davor, dass die Schwarzen mit euren Frauen Kinder zeugen könnten. Eigentlich schade, dann wärt ihr heute nicht so käsebleich.«
Nina starrte ihn an wie vom Donner gerührt. Sigge war knallrot geworden.
»So ein Schwachsinn!«, rief er. »Was interessiert mich das Geschwätz von
Weitere Kostenlose Bücher