Die Ballade der Lila K
in einem lebendigen Bauch geborgen. Ich möchte gar nicht raus.
Manchmal hatte sie auch klare Momente und brachte genug Kraft auf, um sich um mich zu kümmern. Noch eine Erinnerung: Ich höre ihre Schritte näher kommen. Ich reagiere nicht. Ich bin zu müde. Ich höre sie den Karton entfernen, der die Schranktür blockiert. Plötzlich gleitet das Paneel auf, Sonnenlicht überflutet die Wand. Das Gleißen reißt mir schier die Pupillen auseinander. Ich krümme mich zusammen, halte mir die Hände vors Gesicht. Es ist grauenhaft. Ich möchte sie sehen, kann ihr aber nicht in die Augen blicken. Und obwohl ich so gern bei ihr sein möchte, wäre es mir nun lieber, sie würde den Schrank wieder zumachen, damit das Tageslicht verschwindet, damit es mir die Augen nicht mehr mit diesen Tausenden von Nadeln durchbohrt. Du bist ja völlig verdreckt! Ihre Stimme klingt entsetzt. Ich krümme mich noch mehr zusammen. So dreckig! Wie kann das sein … Sie zieht mich mühsam hoch. Ich kann nicht mehr gehen. Also nimmt sie mich auf den Arm. Sie stöhnt, als sie mich hochhebt, es scheint sie sehr anzustrengen. Ich spüre sie zittern und schwanken, während sie mich ins Bad trägt. Sie legt mich in die Badewanne. Ein paar Sekunden lang öffne ich leicht die Augen, nur um sie anzusehen. Sie hat sich verändert. Ihr Gesicht ist schwer gezeichnet. Trotzdem ist sie immer noch schön. Eine Göttin, die mich blendet. Das Licht, ihre Schönheit schmerzen zu sehr. Ich mache die Augen wieder zu.
Das Wasser beginnt zu fließen, siedend heiß. Sie tastet nach dem Einhebelmischer, und das Wasser wird eisig. Sie wiederholt ständig: Wie dreckig du bist , völlig bestürzt. Wie dreckig du bist. Sie weint fast, während sie den Duschstrahl über meinen Körper wandern lässt.
Das Wasser peitscht mich, erst siedend heiß, dann eiskalt und schließlich wieder siedend heiß. Es tut weh, aber ich sage nichts, um diesen Augenblick nicht zu verderben. Mit halbgeschlossenen Augen fühle ich das Streicheln ihrer Hände, die mich energisch einseifen, das Beißen des Wassers, das mir über Rücken und Schultern rinnt. Seife läuft mir in die Augen, über das Gesicht. Ich nehme es hin. Schnuppere lediglich den Seifenduft, während ich die dampfgesättigte Luft einatme.
Fertig. Sie stellt das Wasser ab. Hebt mich hoch, drückt mich an sich, trägt mich zum Bett. Ich lasse alles mit mir geschehen. Sie rubbelt mich ab, massiert mich, cremt mich mit Körperlotion ein. Meine Kleine, mein kleiner Schatz. Es tut so gut, das zu hören. Wenn es doch nie aufhören würde, ich in ihren Armen, mit diesen Worten im Ohr: Meine Kleine, mein kleiner Schatz.
Sie zieht mir saubere Kleidung an, aber nichts passt mehr, weder Rock noch Hose. Das T-Shirt reicht mir nur bis zum Nabel. Dreimal zieht sie daran, kräftig, es hilft nichts. Unglaublich, wie du gewachsen bist! Nicht zu fassen. Und so behalte ich nichts weiter an als Unterhose und T-Shirt. Das macht nichts. Im Schrank ist es nie kalt.
Sie richtet mich auf und drückt mich wieder an sich. Ich spüre ihre Knochen. Sie hat abgenommen, das tut mir weh, es ist alles so spitz. Ich sage nichts. Mein Kopf fällt in ihre Halsbeuge. Sie wiegt mich, ich lasse mich gehen. Meine Kleine, mein kleiner Schatz. Ich bin ihr weiches, duftendes Püppchen.
Sie legt mich zu sich unter die Decke. Du bleibst jetzt hier, bei mir. Ist dir das recht? Statt ja zu sagen, blinzle ich. Zum Sprechen bin ich zu müde. Vielleicht habe ich es auch schon wieder verlernt.
Am Fußende steht ein Aschenbecher auf dem Boden, randvoll. Daneben liegen zwei Spritzen mit verbogenen Nadeln. Das Bett riecht nach ihrem Parfum, nach Drogen und anderen, fremden, unangenehmen Substanzen. Tatsächlich stinkt das Bett, es starrt vor Schmutz, aber das fällt mir nicht auf, oder kaum. Was spielt das überhaupt für eine Rolle, solange sie bei mir ist? Sie sagt mir, dass alles in Ordnung ist, dass ich ihr kleines Mädchen bin, ihr kleiner Schatz. Ich höre zu. Ich glaube ihr.
Am Abend legt sie mich wieder in den Wandschrank, bevor sie arbeiten geht, schiebt das Paneel zu und blockiert es sorgfältig mit dem Karton.
Und so haben wir mehr schlecht als recht vor uns hin gelebt, sie und ich, haben uns gegenseitig ein wenig Trost und Wärme geschenkt, wenn sie dazu in der Lage war. Das kam nicht oft vor. Manchmal hatte sie einen Wutausbruch. Wegen der Drogen wusste sie nicht mehr, was sie tat. Ich bin sicher, sie merkte es gar nicht, wenn sie mich schlug. Und die
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