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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blandine Le Callet
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gehen?«
    »Ja, es wird Zeit.«
    »Bleiben Sie doch noch ein bisschen!«
    »Tut mir leid, Mädchen, ich muss wirklich los.«
    »Sehen wir uns übermorgen?«
    »Ich tue mein Bestes, aber ich bin nicht sicher, ob es klappt.«
    Er machte ein paar zögerliche Schritte auf die Tür zu. Diese müden Gesten. Diese schwerfällige Gestalt, die an einen erschöpften alten Faun denken ließ. Das brach mir fast das Herz.
    »Monsieur Kauffmann, geht es Ihnen wirklich gut?«
    »Na klar, Mädchen, was denn sonst?«
    Ich habe ihm in die Augen gesehen. Ich wusste, dass er dort seinen ganzen Kummer lagerte. Und da erkannte ich, dass er log. Was dann passiert ist, kann ich gar nicht erklären – manchmal wird man von seinen Gefühlen vollkommen überwältigt. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, hätte ihn an mich gedrückt, hätte ihn mit den Worten zurückgehalten: Bitte, gehen Sie nicht, bleiben Sie noch ein bisschen. Meine Angst vor Berührungen, meinen Ekel hatte ich ganz vergessen. Mein einziger Gedanke war, ihn bei mir zu behalten. Aber er murmelte:
    »Auf Wiedersehen, Lila.« Er klang sehr ruhig, sehr sanft und gefasst.
    Ich erstarrte.
    »Auf Wiedersehen, Monsieur Kauffmann.«
    Er nickte, lächelte mich ein letztes Mal an und ging. Und das war das Ende unserer Geschichte.
    Als er weg war, bemerkte ich, dass er seinen bestickten Schal auf dem Bett vergessen hatte. Ich legte ihn behutsam zusammen und verstaute ihn in der Nachttischschublade. Damals dachte ich, dass ich ihm den Schal bei unserem nächsten Wiedersehen zurückgeben würde.
    Monsieur Kauffmann blieb keine Zeit, mich noch einmal zu besuchen. Am 15 . Oktober, ein paar Tage vor meinem zwölften Geburtstag, wurde er seines Amtes enthoben. Das teilte mir Fernand mit, er sah dabei aus wie ein geprügelter Hund und krümmte sich, als lastete das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern. Er hat mir alles erzählt – jedenfalls genug, damit ich mir im Großen und Ganzen ein Bild machen konnte: das Misstrauensvotum der Kommissionsmitglieder Ende August, dann die Vorladung vor den Großen Rat Anfang September und schließlich die Absetzung.
    »Warum haben Sie mir nichts gesagt?«
    »Er wollte nicht, dass du davon hörst. Ich musste es ihm versprechen.«
    »Ist das alles meinetwegen? Wegen der Bücher?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Es ist noch viel komplizierter.«
    »Dann erklären Sie es mir!«
    »Das ist nicht so einfach, Lila. Eigentlich darf ich nicht …«
    »Aber ich habe doch ein Recht, es zu erfahren!«
    »Da gibt es nicht viel zu sagen, Lila. Monsieur Kauffmann hat seine Mission im Zentralheim konsequent durchgeführt, so, wie er es für richtig hielt. Dafür ist er gewisse Risiken eingegangen und hat sich gewisse Freiheiten genommen … Das war’s dann. Jetzt ist die Sache beendet.«
    »Werde ich ihn wiedersehen? Geht das überhaupt, wenn er nicht mehr der Leiter ist?«
    »Ich weiß es nicht, Lila. Ich habe wirklich keine Ahnung.«
    Er wirkte so unendlich traurig. Ich spürte eine Eiseskälte in meiner Brust, einen unerbittlichen Pfeil. In diesem Augenblick hatte ich die grausame, unumstößliche Gewissheit, dass alles vorbei war.
    Am Abend holte ich den schönen Seidenschal aus der Nachttischschublade und versteckte ihn in meinem Kissenbezug, legte ihn so flach hinein, dass von außen nichts zu erkennen war. Ich wollte nicht, dass sie den Schal fanden, weil sie ihn vielleicht beschlagnahmt hätten. Das wäre falsch gewesen, denn er gehörte mir. Monsieur Kauffmann hatte mir den Schal geschenkt, wie ich nun endlich begriff: Zusammen mit dem Lexikon war das sein Abschiedsgeschenk.
    Am 3 . November haben sie ihn zu Hause festgenommen. Fernand brachte es nicht übers Herz, mir davon zu erzählen. Ich erfuhr es beim Hören der nationalen Nachrichtensendung. Monsieur Kauffmann wurden Drogenhandel und subversive Umtriebe vorgeworfen. Es war auch die Rede von Missbrauchsfällen im Zusammenhang mit ehemaligen Zentralheimzöglingen. Der pure Unsinn.
    Fast einen Monat lang machte die Causa Kauffmann Schlagzeilen. Täglich gab es neue niederträchtige Anschuldigungen und sensationslüsterne Details. Nun wurde behauptet, Monsieur Kauffmann habe die Heimbilanzen gefälscht und riesige Summen veruntreut. Es hieß, er sei drogensüchtig und konsumiere in rauen Mengen verbotene Substanzen. Seine Fettleibigkeit wurde als schlagender Beweis für seinen generellen Kontrollverlust angeführt. Sogar sein ausgefallener Kleidungsstil wurde heftig kritisiert.
    Im

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