Die Ballade der Lila K
warum: Es gefährdet die Gesundheit!«
»Kann sein, Mädchen, kann durchaus sein …«
»Was ist denn mit Ihnen los, Monsieur Kauffmann?«
»Es ist alles bestens, meine Kleine.«
»Ich kann es nicht leiden, wenn Sie mich für dumm verkaufen. Das tut mir nämlich weh, wissen Sie.«
»Ach, Mädchen, sag doch so was nicht! Es ist nur halb so schlimm. Bloß ein paar heimtückische Hanseln vom Ministerium, die mir das Leben erschweren. Mach dir keine Sorgen, ich habe schon ganz andere Sachen erlebt. Das renkt sich bald wieder ein, glaub mir. Das tust du doch?«
Ich wollte ihm nur zu gern glauben, natürlich, es wäre für mich am bequemsten gewesen. Aber wenn ich ihn so sah, schlaff, vom Alkohol benebelt, mit geschwollenen Augen und aufgedunsenem Bauch, konnte ich mich eines Gefühls drohenden Unheils nicht erwehren, und das machte mir furchtbar zu schaffen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er gefährdet war. Weil ich ihn liebte. Weil ich ohne ihn niemals meine Mutter finden würde.
»Du glaubst mir doch?«, wiederholte er.
»Aber sicher.«
Das habe ich gesagt, weil es mir im Grunde nicht möglich war, an ihm zu zweifeln. Und er hat gelächelt.
»Ich weiß, woran du denkst. Sei ganz unbesorgt: Du kannst auf mich zählen, egal, was passiert. Präg dir das gut ein, Mädchen: Ich werde Mittel und Wege finden, mein Versprechen einzulösen, egal, was passiert. «
Der Oktober kam. Sein Zustand verschlimmerte sich zusehends: Er nahm weiter zu, trank immer mehr und scherzte nach wie vor, als ob nichts wäre, aber das nahm ich ihm nicht mehr ab.
Eines Morgens tauchte er ganz unerwartet in meinem Zimmer auf und überreichte mir ein schweres, schleifengeschmücktes Päckchen.
»Alles Gute zum Geburtstag, Mädchen!«
»Aber heute ist doch erst der 4 ., Monsieur Kauffmann. Und ich habe am 19 . Geburtstag.«
»Das weiß ich doch, Mädchen«, erwiderte er ungerührt, »aber ich habe beschlossen, mich von nun an nicht mehr an die Geburtstage zu halten, wenn ich jemandem gratulieren möchte. Auf diese Weise ist der Überraschungseffekt garantiert.«
»So kann man es auch sehen.«
»Na los, mach das Päckchen schon auf«, sagte er, als wollte er möglichst schnell zu einem anderen Thema übergehen.
Ich stellte das Päckchen auf meinem Schreibtisch ab. Er half mir, den Deckel aufzureißen. Es war ein altes Lexikon, eine riesige Schwarte, die schwerste, die ich jemals in Händen gehalten hatte.
»Ich hätte dir gern ein Exemplar jüngeren Datums geschenkt, aber man findet inzwischen kaum noch Druckausgaben von annehmbarer Qualität. Dieses Lexikon stammt aus dem frühen letzten Jahrhundert. Es wird für deine Zwecke vollauf genügen. Sieh dir mal den Einband an, Mädchen. Aus Fischleder! Sehr schön. Sehr kostspielig. Ich habe ihn eigens in Auftrag gegeben, um dem Werk eine persönliche Note zu verleihen.«
Ich berührte das Lexikon mit den Fingerspitzen. Es fühlte sich so weich an, dass mir die Tränen kamen. Ich habe sofort meine dunkle Brille aufgesetzt – es war nicht der richtige Moment, um sich gehenzulassen.
»Danke, Monsieur Kauffmann.«
Meine Stimme zitterte leicht.
»Ich danke dir, meine Kleine. Für mich ist es eine Ehre, dass ich einen so außergewöhnlichen und klugen Menschen wie dich kennenlernen durfte.«
Was für ein Kompliment – das war ganz sicher das schönste Geschenk, das er mir je gemacht hat. Ein Glück, dass ich meine Augen hinter der Brille verbergen konnte.
»Pass gut auf dieses Lexikon auf, Lila. Darin ist alles enthalten. Alles, was du brauchst. Und vergiss eines nicht: Es gehört dir. Niemand hat das Recht, es dir wegzunehmen. Niemand, verstehst du?«
Zum ersten Mal erlebte ich ihn so ernst und feierlich, und da schrillten bei mir plötzlich die Alarmglocken.
»Was ist los, Monsieur Kauffmann?«
»Gar nichts, Mädchen! Ich möchte nur sichergehen, dass du den Wert dieser Gabe ermisst, weil es sich dieses Jahr um ein ganz besonderes Geschenk handelt.«
»Wie können Sie daran zweifeln?«
»Wenn wir schon mal dabei sind: Hast du noch den Kompass, den ich dir vor zwei Jahren geschenkt habe?«
Ich runzelte die Stirn.
»Was ist heute nur mit Ihnen los?«
»Hast du ihn noch?«
»Was für eine Frage! Natürlich habe ich ihn noch, er liegt in meiner Nachttischschublade.«
»Dann ist ja alles gut.«
Ich musterte ihn neugierig. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Er ließ mir keine Zeit, ihn zu fragen. Ächzend erhob er sich vom Bett.
»Sie wollen schon
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