Die Ballade der Lila K
auf dem Balkon zwei lange, tiefe Blumenkästen, mit immergrünen Farnen bepflanzt, die ich vorgeblich ausgesucht hatte, weil sie so überaus dekorativ sind.
Nichts fehlte im Badezimmerschrank, nicht einmal der nagelneue Sensor, den das Gesundheitsministerium mir zum 18 . Geburtstag geschenkt hatte. Der Kühlschrank war mit Lebensmitteln für zwei Tage gefüllt, meine neuen Kleidungsstücke waren fein säuberlich im Wandschrank gestapelt, und ich hatte am folgenden Tag einen Termin für ein Vorstellungsgespräch mit Monsieur Copland, dem Leiter der Digitalisierungsabteilung der Großen Bibliothek. Mein neues Leben konnte beginnen.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, die Sachen einzuräumen, die ich mitgenommen hatte: mein Grammabook, das Lexikon, das Kaleidoskop, den Füller, den Kompass, den kleinen Packen Papier und das Tintenfläschchen, beides mit noch unversehrtem Siegel. Und den Seidenschal von Monsieur Kauffmann, den ich in der Kommode unter einem Stapel T-Shirts verstaute.
Gegen 19 Uhr kam Fernand vorbei, um Pascha bei mir abzuliefern, samt dem ganzen Zubehör: Adoptionsbescheinigung, Gesundheitspass, Streukiste. Dazu drei Dosen Pastete.
»Die kannst du gern haben. Was soll ich noch damit?«
Ich nahm die Dosen mit leicht zitternden Händen entgegen.
»Kommst du auch wirklich zurecht?«
»Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen.«
Ich täuschte Gelassenheit vor, obwohl mir der Arsch in Wirklichkeit auf Grundeis ging. Aber das hätte ich um nichts in der Welt zugegeben.
»Gut, dann gehe ich mal.«
Kurz war ich versucht, ihn unter einem Vorwand noch ein wenig dazubehalten, doch dann habe ich mich eines Besseren besonnen. Ich hörte, wie Pascha in seinem Körbchen unruhig wurde, und drückte die Dosen an mich. Es wurde allmählich Zeit.
»Auf Wiedersehen, Fernand.«
»Auf Wiedersehen, Lila.«
»Wünschen Sie mir Glück.«
Er lächelte.
»Viel Glück, Lila K.«
Ich lächelte ebenfalls und schloss dann die Tür, wie man eine Seite umblättert.
Die Große Bibliothek
Der Shuttle sollte mich um 8.15 Uhr abholen. Mein Termin war um neun. Ich hielt mich an Fernands Anweisungen und zog mich ordentlich, aber unauffällig an: eine Kombination in Schwarz, dazu ein beige-grauer Mantel. Der banale Aufzug kam mir dennoch so unpassend vor wie die schrillste Kostümierung. Es war das erste Mal, dass ich keine Heimuniform trug.
Der Shuttle setzte mich um 8.43 Uhr an der Plattform ab. Ich trat drei Minuten später durch das Tor. Keine Ahnung, warum ich Sie mit diesen Zahlen bombardiere. Wahrscheinlich, weil ich mich damals an die Minuten klammerte, die meine Uhr anzeigte – Zahlen haben mich seit jeher beruhigt.
Am Eingang legte ich dem Automaten meinen Ausweis vor – Lila K, da, schwarz auf weiß, ich konnte es immer noch nicht recht fassen –, passierte die Sicherheitsschleuse und ging zur Rezeption.
Bei meinem Anblick zuckte die Empfangsdame kurz zusammen. Ich überlegte, was an meinem Erscheinungsbild oder Auftreten sie verstört haben könnte, welchen Fehler ich wohl begangen hatte, aber ich kam nicht darauf. Die junge Frau musterte mich unverwandt, die Augen leicht zusammengekniffen. Sie war blond und hatte schön geschwungene Lippen, die sie mit einem Hauch Korallenrot betont hatte. Mir fielen vor allem ihre Wangenknochen auf, die unnatürlich stark ausgeprägt waren – manchen Chirurgen sollte man besser das Handwerk legen, aber echt.
»Guten Morgen, Mademoiselle. Mein Name ist Lila K, und ich habe einen Termin bei Monsieur Copland.«
Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihre Telefonliste und nickte mir zu.
»Gehen Sie durch den mittleren Gang und bei der übernächsten Abzweigung rechts. Dann fahren Sie mit dem Aufzug D in den 75 . Stock hinauf. Ich werde Sie bei Monsieur Copland anmelden.«
»Haben Sie recht herzlichen Dank, Mademoiselle.«
»Gern geschehen«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das ihre Wangenknochen seltsam verschob, während ihre blauen Augen sich zu zwei scharfen Schlitzen verengten. Ich wandte mich mit einem gewissen Unbehagen ab und folgte ihrer Wegbeschreibung. Bevor ich in den rechten Gang abbog, warf ich einen Blick über die Schulter: Die junge Frau starrte mir nach.
Monsieur Copland erwartete mich bereits in der Tür seines Büros. Als er mich sah, fuhr er unwillkürlich zusammen, genau wie die Frau am Empfang. Ich fragte mich, ob das ein Zeichen von Verblüffung war oder von Abscheu. Wobei das eine das andere letztlich nicht ausschließt. Um Fassung
Weitere Kostenlose Bücher