Die Ballade der Lila K
mich schon zu benehmen.«
Aus der Nähe war sie erst recht widerwärtig. Während der Aufzug uns in den obersten Stock hinaufbeförderte, drückte ich mich in die hinterste Ecke, um nicht mit ihrem gewaltigen Arsch in Berührung zu kommen. Man konnte hören, wie es darin platschte. Fast hätte ich gekotzt.
Das Apartment war nicht groß, aber sehr gut geschnitten: ein Wohn- und Schlafraum mit breiter Fensterfront und Balkon, eine kleine Küche, eine Nasszelle und eine Toilette.
»Das WC wurde soeben mit der aktuellen gesetzlichen Vorrichtung zur Urinanalyse ausgestattet«, erklärte die Hausmeisterin. »Wie Sie sehen, erscheint alles auf dieser Tafel: zytobakteriologischer Befund, Beta- HCG -Werte, Ergebnisse des Multidrogentests – Alkohol, Nikotin, Methadon, Kokain usw. –, und wird direkt an den zuständigen Arzt weitergeleitet.«
Sie schien so stolz auf diesen ausgeklügelten Mechanismus zu sein, als hätte sie ihn erfunden. Dann fuhr sie fort:
»Die Kameras wurden alle durch die neuesten Modelle ersetzt, die noch viel leistungsfähiger sind. So genießen Sie den denkbar besten Schutz.«
Ich dachte, die denkbar beste Überwachung , aber das behielt ich für mich. Bloß kein böses Blut schaffen. Anschließend zeigte mir die Hausmeisterin, wie man die Alarmanlage, die Heizung, die Beleuchtung einstellte und die Jalousien betätigte. Ich hörte ihr aufmerksam zu, während ich zusah, wie sie mit den Fingern über die eingebauten Bedienungsfelder fuhr.
»Den Wandschrank öffnet man so.«
Die Schiebetür glitt auf und gab den Blick auf einen riesigen Einbauschrank frei, die gleiche Ausführung, die ich damals bei Lucienne und Fernand im Kinderzimmer bewundert hatte.
»Ist der schön!«
Die Hausmeisterin hob eine Augenbraue.
»Sie sind ja leicht zu beeindrucken. Räumen Sie gern auf?«
»Ja … ja. Ich habe es gern, wenn alles an seinem Platz ist.«
Sie nickte.
»Gut so. Ich kann unordentliche Menschen nicht leiden. Und jetzt kommen wir zum Hintergrunddekor. Sie können zwischen ›Dschungel‹, ›Lagune‹, ›Tallandschaft‹ und ›Blumenteppich‹ wählen. Alles andere geht extra.«
Unterdessen drückte sie unablässig irgendwelche Tasten, die verschiedene Motive auf die Wände projizierten; in leuchtenden Farben und über die ganze Fläche erstreckten sich endlose Sanddünen, wuchernde, im Wind wogende Gräser, ein türkisblaues Meer, das in weiter Ferne mit einem dunkelblauen Horizont verschmolz. Zu viele zu grelle Farben. Selbst mit Sonnenbrille konnte ich das nicht aushalten.
»Und? Was nehmen Sie?«
»Ich bleibe wohl lieber bei den weißen Wänden.«
Die Hausmeisterin fuhr zusammen.
»Sie wollen nackte Wände?!«
Fernand räusperte sich.
»Das kommt nicht in Frage, Lila. Bei kleinen Wohnungen sucht man sich einen Hintergrund aus, der den Raum größer wirken lässt.«
Ich hatte also einen Fauxpas begangen. Rasch bemühte ich mich um Schadensbegrenzung.
»Aber ja … Damit der Raum größer wirkt. Klar.«
»Weiß ist so deprimierend.«
»Deprimierend, ja, stimmt genau«, plapperte ich fügsam nach.
Die Hausmeisterin warf mir einen argwöhnischen Blick zu. Da fielen mir zum ersten Mal ihre grauen Augen mit den länglichen Pupillen auf. Wahrscheinlich stammt sie unter anderem von Schlangen ab, dachte ich schaudernd.
»Haben Sie sich jetzt entschieden?«, fragte sie mich mit nunmehr eisiger Stimme.
»Offen gesagt schwanke ich noch. Kann ich vielleicht eine Nacht darüber schlafen?«
»Ich wollte Ihnen bloß das Einstellen abnehmen. Aber Sie können sich gern allein damit herumschlagen!«
»Gut, dann nehme ich die Einstellungen selbst vor.«
Sie verzog verächtlich den Mund. Ich unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, sie zu beschwichtigen:
»Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Geduld und Hilfsbereitschaft.«
Eine dieser Floskeln von der Stange, die Fernand mir beigebracht hatte. Aber selbst das stimmte sie nicht milde.
Nach der Besichtigung gingen wir in Fernands Wohnung. Ich hatte dazu eigentlich keine Lust, aber er wollte es unbedingt. Du hast Pascha schon so lange nicht mehr gesehen … In der Wohnung herrschte eine traurige Atmosphäre. In all den Jahren hatte Fernand nichts angetastet. Luciennes Abwesenheit war mit Händen zu greifen.
Pascha schlief auf dem weißen Sofa, in eine Decke gehüllt.
»Sonst schlottert er vor Kälte«, flüsterte Fernand.
Der Anblick schnürte mir die Kehle zu.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm um ihn
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