Die Ballade der Lila K
den Mund mit klarem Wasser ausspülte, tauchte er in der Badezimmertür auf.
»Ist dir nicht gut?«, fragte er hilflos.
»Das nenne ich mal Scharfblick!«, erwiderte ich und tupfte mir die Mundwinkel ab.
Armer Fernand, auf einen Schlag hatte ich ihm die ganze Freude verdorben. Das Lachen war ihm gründlich vergangen.
Ich ging wieder ins Wohnzimmer und ließ mich auf das Sofa fallen. Er setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl. Er wirkte bedrückt und beschämt, was mir seine Gegenwart aber nicht erträglicher machte.
Ich holte das Kaleidoskop aus der Beistelltischschublade. Dann schob ich die Sonnenbrille hoch, um es mir vors Auge zu halten und auf Fernand zu richten. Seine Visage in alle Regenbogenfarben aufzusplittern war immerhin ein schwacher Trost.
»Was machst du da?«
Statt zu antworten, drehte ich die Röhre, um das Auflösungsmuster zu variieren.
»Lila! Lass endlich diesen Blödsinn.«
»Ja, das sollte ich wohl.«
Ich legte das Kaleidoskop auf den Tisch, schob mir die Brille wieder auf die Nase und starrte Fernand an, ohne ein Wort zu sagen. Ihm wurde zusehends unbehaglicher zumute. Das war mir recht. Nach langem, lastendem Schweigen sagte er schließlich mit erstickter Stimme:
»Liegt dir denn so viel an ihm?«
»Es ist nicht so, wie Sie denken.«
»Ich denke gar nichts.«
»Monsieur Templeton war immer gut zu mir. Er hat mich … er hat mich beschützt, auf seine Weise. Wenn Sie es also unbedingt wissen wollen: Ja, er bedeutet mir viel. Sie übrigens auch.«
»Aber nicht ganz so viel.«
Darauf ging ich nicht ein. Sollte er sich seinen Teil eben denken. Ich lehnte mich zurück und drückte mir ein Kissen an die Brust.
»Kommst du klar?«
»Was glauben Sie?«
»Möchtest … möchtest du vielleicht, dass ich heute Abend hierbleibe, um dir Gesellschaft zu leisten?«
»Hören Sie bloß auf, Fernand, sonst unterstelle ich Ihnen doch noch einen gewissen Sinn für Humor!«
Den Seitenhieb steckte er stumm ein.
»Kann ich irgendetwas für dich tun?«
»Ich denke, Sie haben bereits mehr als genug getan. Wenn Sie bitte gehen würden.«
Er senkte den Kopf und biss die Zähne zusammen. Vermutlich ahnte er, dass er es nicht anders verdient hatte. Doch anstatt meiner Bitte zu entsprechen, ging er zur Fensterfront und blieb dort wie angewurzelt stehen, die Hände im Rücken verschränkt.
»Was haben Sie denn, Fernand?«
Er schwieg. Er schien tief in schmerzliche Gedanken versunken zu sein.
Fernand mag viele Fehler haben, aber im Grunde ist er kein böser Mensch. Im Nachhinein bereut er jede Gemeinheit, die er begehen wollte, weil er ihr nicht gewachsen ist. Sie schlägt ihm zu sehr auf den Magen. Er wäre zu allem bereit, damit ihm verziehen wird.
»Lila, es bricht mir das Herz, dich so zu sehen.«
Ich reagierte nicht.
»Wenn Monsieur Templeton dir wirklich so viel bedeutet, will ich …«
Er hielt ein paar Sekunden inne und atmete tief ein, bevor er fortfuhr:
»Wie du weißt, gehe ich im Ministerium ein und aus. Ich will versuchen … mein Möglichstes zu tun, um … zu erfahren, wie es um ihn steht.«
»Meinen Sie das wirklich ernst?«
»Ja, Lila. Ich kümmere mich darum.«
Die Wochen gingen ins Land. Fernand rief mich jeden Tag an, ohne etwas über Sie in Erfahrung gebracht zu haben. Ich drehte fast durch. Er hingegen sagte, das sei ganz normal, die Polizei lasse unmittelbar nach einer Verhaftung keinerlei Informationen durchsickern. Offenbar ist das so üblich, es lässt alle möglichen Schreckensvorstellungen zu.
»Geduld ist das Gebot der Stunde. Irgendwann werden wir hören, was los ist, glaub mir. Bis dahin musst du dir unbedingt eine Beschäftigung suchen, die dich auf andere Gedanken bringt. Sonst kommst du nie aus diesem Tief raus.«
Er hatte recht, das wusste ich, und ich wusste auch, womit ich mich beschäftigen würde. Sie waren meinetwegen intra muros zurückgekehrt, um mir die Lamellette mit der Akte meiner Mutter zu geben. Und da lag sie, in der Farnerde versteckt. Wartete auf mich. Mit den Antworten. Und genau das wollten Sie, nicht wahr? Dass ich die Antworten finde.
Ich konnte mir denken, dass man mich streng überwachte, wie alle Personen, die sich in psychiatrischer Nachsorge befinden. Darum habe ich mich für die Nacht entschieden – da war es leichter, sich der Überwachung zu entziehen.
Jeden Abend legte ich mich zur gewohnten Uhrzeit ins Bett und schlief mit meinem kleinen Reisewecker in der Hand ein. Um zwei Uhr weckte mich der Vibrationsalarm. Ich
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