Die Ballade der Lila K
denen meine Mutter eine Ähnlichkeit entdeckt zu haben glaubt – der gleiche Mund, die gleichen Augen, die gleichen Wangenknochen … Am Ende steht der Name von John Steiner. Dahinter hat sie notiert: Kaine echte Änlichkeit. Hätte in blos gern als Vater.
Und das wird er in gewisser Hinsicht werden. Als man sie zwei Jahre später anlässlich ihrer Volljährigkeit auffordert, sich einen Familiennamen auszusuchen, entscheidet sie sich für seinen: Moïra Steiner, heimliches Kind eines der bekanntesten Schlagersänger seiner Generation. Welche Traummutter sie am Ende gewählt hat, konnte ich nicht herausfinden.
Im Juni ’ 87 heuert meine Mutter als Kellnerin in einer Bar des Bezirks intra muros an ( 39 . Arrondissement); die Stelle verdankt sie der Quotenregelung, die Staatsmündel begünstigt. So kommt sie auch in den Genuss einer begrenzten Aufenthaltsgenehmigung für den Bereich intra muros . Dieser Status scheint ihr zu genügen. In ihrer Akte finden sich keine Hinweise darauf, dass sie sich um eine Daueraufenthaltskarte bemüht hätte.
’88 zieht sie vom Kinderheim in eine Zweizimmerwohnung um, ebenfalls in Grigny, die sie bis ’ 91 beibehält. Von ihrer Arbeit kann sie ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Im Anhang befand sich folgende Liste:
Moïra Steiner, Traum und Ziehl am 1 . Januar 89 :
–sich den Zone-Axsentabgewönen, den von intra muros tränieren
–schik aussäen, auf Äuseres achten
–phiel lernen (Algemeinbildung, Lebensart, Abentkurse)
–eines Tages Reisen (Itahlien, Amerika)
–die grose Liebe finden
–zwei Kinder haben: Mädschen und Junge. Falls nur ein Kind: Mädschen.
Die Schwangerschaft meiner Mutter wurde Anfang Juli ’ 89 während einer Routineuntersuchung entdeckt, die der arbeitsmedizinische Dienst durchführte. Im Krankenbericht heißt es: Die Patientin erklärt, nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst zu haben. Ferner erklärt sie, den Namen des Vaters nicht zu kennen. Da diese Schwangerschaft ohne Genehmigung eingetreten ist, muss sie unter dem Vorbehalt abgebrochen werden, dass die gesetzliche Frist von zwanzig Wochen nicht überschritten wurde. Sollte diese bereits überschritten sein, hängt der Fortgang der Schwangerschaft vom Gesundheitszustand des Fötus ab, wie das Gesetz vorschreibt.
Die Ultraschalluntersuchung vom 6 . Juli zeigt, dass es sich um einen weiblichen Fötus handelt, rund 24 Wochen alt. 14 Tage später führt die detaillierte Karyotypanalyse zu folgendem Ergebnis: Keine Anomalien festzustellen. Die Verwaltung genehmigt den Fortgang der Schwangerschaft, empfiehlt jedoch eine lückenlose medizinische Überwachung, da keinerlei Informationen zur väterlichen Linie vorliegen.
Das Verfahren wegen Übertretung des Empfängnisgesetzes, das gegen meine Mutter eingeleitet wurde, wird Anfang August eingestellt; im Lauf der Untersuchungen hat sich das Verhütungsimplantat, das man ihr zwei Jahre früher vor ihrer Entlassung aus dem Kinderheim von Grigny eingesetzt hatte, nämlich als fehlerhaft erwiesen. Dennoch wird sie weiterhin verhört. Die Sozialbehörde verlangt zu erfahren, warum meine Mutter ihre Schwangerschaft nicht gemeldet hat. Sie beharrt auf ihrer ursprünglichen Aussage, nichts davon gemerkt zu haben. Tatsächlich müssen die Ärzte einräumen, dass meine Mutter selbst nach dem fünften Monat kein Gramm zugenommen hat. Ihr Bauch ist flach geblieben. Sie selbst sagt: Als ob nichts drin wäre.
Sie hatte nicht mit mir gerechnet, so viel steht fest. Das muss aber nicht heißen, dass sie mich nicht wollte. Vom Schock und vom Überraschungsmoment abgesehen, glaube ich, dass sie sich über die Aussicht gefreut hat, ein Kind zu bekommen. Ihre Kontoauszüge sind ein Beleg dafür: Am 24 . Juli kauft sie in einer Edelboutique intra muros drei rosa Babyjäckchen Größe 50 . Am 24 ., Milo. Einen Tag nachdem die genetische Untersuchung ergeben hat, dass der Fötus gesund ist und sie die Schwangerschaft fortsetzen darf. Äußerst kostspielige Babyjäckchen. Ist das vielleicht kein Zeichen dafür, dass sie sich auf mich gefreut hat? Und das ist noch nicht alles: Zwischen Juli und Oktober kauft sie immer wieder Säuglingspflegeartikel und Babykleidung und gibt dafür ein Vermögen aus. Mir liegen die Namen sämtlicher Modelle vor, die Größen, die Preise. Bei Gelegenheit zeige ich Ihnen das gern.
Ich kam termingerecht zur Welt, am 19 . Oktober ’ 89 im Krankenhaus von Grigny. In der Akte meiner Mutter habe ich auch den Entbindungsbericht gefunden, den
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