Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
und halt die Laterne hoch!«, befahl Mathias. »Streck eine Hand vor und geh langsam.« Sie schlichen durch die Eingangshalle. Nur schwach streifte das Licht der fast abgedunkelten Laterne über das große französische Fahnentuch an der Stirnwand der Halle. Sie stolperten plötzlich über die flache Steinstufe vor dem Treppenaufgang. Schlager stürzte, die Laterne knallte auf den Boden, verlöschte und rutschte scheppernd bis zur Wand. Mathias umklammerte das Brecheisen, er horchte, aber nichts regte sich. Der Kumpan stöhnte am Boden. »Du Idiot!«, zischte Mathias. »Steh auf! Weiter!« Sie tapsten bis zu den ersten Treppenstufen. »Halt dich am Geländer.«
›Im ersten Stock, die zweite Tür auf der rechten Seite, da ist das Archiv‹, hatte Humbroich gesagt. Mathias probierte den Dietrich, aber das gekrümmte Eisenstück war zu groß. Erst der zweite gebogene Nagel öffnete die Tür. Im Archiv fiel trotz der regnerischen Nacht ein blasser Schimmer durch die drei Fenster. Beide Männer stießen gegen einen großen Tisch, ein Stuhl kippte. Das Poltern hallte durch den Raum.
Endlich fanden sie die große Kiste, von der Humbroich gesprochen hatte. »Fass an!« Aber sie konnten die schwere Eichentruhe nicht wegschleppen. Mathias klemmte das Brecheisen zwischen Riegel und Holz, Schlager fasste mit an, und gemeinsam stemmten sie die Truhe auf In der Dunkelheit war der Inhalt nicht zu erkennen. »Gibt den Sack!« Mathias fühlte eine Figur. »Das ist so n Heiliger«, er stopfte ihn in den Sack, dann griff er einen Ball aus schwerem Metall. »Bestimmt alles Silber!« Schlager wühlte aus der Truhe noch einige Ketten. »Alles in den Sack und dann weg.« Mathias hob die abgesprengten Schlösser auf und steckte sie ein. Ohne noch einmal zu stolpern, erreichten sie wieder die Flügeltür. Heckmann flüsterte: »Man hat euren Krach bis hierher gehört.«
»Die Lampe ging aus.«
Heckmann schlug Humbroich, wie verabredet, mit dem Flintenkolben bewusstlos. Niemand sollte am nächsten Tag den immer betrunkenen Humbroich verdächtigen.
Die drei schlichen an den Hauswänden entlang bis zu den beiden Kumpanen, die den Platz bewacht hatten. »Ihr geht zum ›Bären Drikes‹. Wir drei verkaufen das Zeug noch heute Nacht, morgen sind wir wieder da.«
Ohne auf eine Patrouille der Bürgerwehr zu stoßen, erreichten Heckmann, Mathias und der lange Schlager das Niedertor.
»Bei dem Wetter sind hier nur bezahlte Nachtwächter, und die schlafen bestimmt«, flüsterte Mathias.
»Spannt die Pistolen!«, raunte Heckmann, »schießt, wenn was schief geht!« Dann schlug er an das Fenster der Wachbude und schrie: »Öffnet das Tor! Ich muss zwei Gefangene ins Kloster Meer bringen.«
In dem aus Brettern gezimmerten Wachhaus polterte es, eine Stimme fluchte, dann wurde das Licht hochgedreht. Vorsichtig öffnete sich die Tür. Ein Mann ohne Jacke und mit hängenden Hosenträgern erschien. »Wie siehst du denn aus!«, donnerte Heckmann. Der aufgeschreckte Mann sah die Uniform und salutierte. »Nachtwächter Kolbus. Der Bürger Malzer hat mich für diese Nacht verpflichtet.«
»Du hast geschlafen, was?«
Der Nachtwächter salutierte wieder. Hinter ihm erschien noch ein zweiter vom Schlaf zerzauster Mann. Heckmann wurde freundlicher. »Na, dann öffne mal das Tor. Ich werd den Vorfall vergessen.«
Kolbus drängte seinen Kollegen zurück in die Wachstube. Eilfertig lief er selbst zum Tor, schloss die schwere Kette auf und schob den Balken zur Seite. Es war streng verboten, nachts das Stadttor zu öffnen, nur Offiziere mit Sonderpässen durften herein oder hinaus. ›Den brauche ich erst gar nicht nach dem Passierschein zu fragen‹, dachte Kolbus. Die kleine Pforte im Niedertor quietschte in den Angeln. Heckmann trieb die beiden Kumpane vor sich her. »Bewegt euch! Wer flieht, den knall ich ab!« Der Nachtwächter Kolbus riegelte die Pforte wieder zu. Im Wachhaus rieb er sich zufrieden die Hände. »Das war ein ganz scharfer Hund«, berichtete er seinem Kollegen. »Da haben wir noch Glück gehabt.« Er drehte den Docht der Lampe herunter und legte sich wieder auf die Bank.
Ohne Laterne wanderten die Räuber durch die Dunkelheit bis nach Hemmerden und weckten den Hehler David. Von seiner Frau ließen sie sich Kaffee kochen, und ihm boten sie die Beute an. Für einen Hehler war es sehr gefährlich, Wertstücke weiterzuverkaufen, wenn sie in der Nähe seines Wohnorts gestohlen worden waren. Entweder nahm er solche Gegenstände gar nicht an,
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