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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Wochen in der Herberge an der Landstraße nach Kempen.
    Am 19.   Oktober spielte und trank Mathias dort mit drei Kumpanen im Schankraum. Zwei der jungen Räuber waren zufällig hier eingekehrt, sie kamen von der Meersener Bande. Der dritte war der Deutzer Michel, ein dummer, aber sehr starker Kerl. Einer der Meersener, Damian Hessel, gewann unaufhörlich. Die Männer tranken viel. Schon am frühen Abend übertönte ihr Grölen und Schreien den Lärm der anderen Gäste. Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Acht schwer bewaffnete Soldaten des holländischen Reiterregiments von Kloster Meer stürmten in die Gaststube. Jeder von ihnen hielt eine gespannte Pistole in der Hand. Die Soldaten machten sich oft den Spaß, in einer Schankstube die Gäste zu belästigen und zu prügeln. Heckmann und Overtüsch, die auch im Gastraum waren, konnten verschwinden, ehe die Hintertür besetzt war. Mathias hatte den Trupp zu spät bemerkt. Nun blieb er sitzen. Der Deutzer Michel grölte aus voller Kehle ein Soldatenlied. Erst als einer der Reiter ihm die Pistole ans Ohr setzte, schwieg er erschrocken. Alle Gespräche waren verstummt. Der Fähnrich des Trupps ging langsam von Tisch zu Tisch und sah jeden der Gäste prüfend an. Bei den Spielern blieb er stehen. Mathias blickte starr geradeaus. Der Fähnrich befahl knapp: »Alle vier verhaften. Die werden wir uns mal vornehmen.«
    Da warf Mathias den Tisch um und sprang mit dem Messer in der Hand den Reiter an, der dem Deutzer Michel die Pistole an den Kopf hielt. Wild stach er auf ihn ein und verletzte ihn am Arm. Die Pistole ging los, aber die Kugel schlug in den Boden. Mathias stürzte sich auf den Fähnrich, doch die Soldaten kamen ihrem Anführer zu Hilfe. Mathias stach um sich und brüllte wie tollwütig. Einem schlitzte er die Uniformjacke auf, einem anderen stach er in den Oberschenkel. Endlich konnten sie ihn an beiden Armen festhalten. Bevor sie den Tobenden ganz überwältigt hatten, trat er dem Fähnrich noch ins Gesicht, dass ihm das Blut aus der Nase spritzte.
    Die Soldaten warfen ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Einer stellte sich auf seinen Nacken, ein anderer auf seine Füße. Brutal rissen sie seine Arme nach hinten und fesselten ihn mit Handspangen. Dem Deutzer Michel waren erst die Hände, dann die Füße zusammengekettet worden. Jetzt schlugen sie ihm einen Pistolenknauf auf den Kopf, dass er schwankte und schwer auf Mathias stürzte. Sofort legten zwei Soldaten Mathias Fußspangen an, dann zogen sie eine Kette durch die Handfesseln des Michael und verbanden sie mit den Fußketten von Mathias. Damian Hessel ließ sich die Hände auf den Rücken binden, er wehrte sich nicht. Seinen Meersener Kameraden stellten sie hinter ihn und schnürten dann beide mit einem dicken Strick zu einem Paket zusammen. Sie konnten nur noch im Gleichschritt gehen, mit Hieben und Tritten wurden sie aus dem Schankraum getrieben. Mathias und den Deutzer Michel schleiften die Soldaten über den Boden nach draußen. Alle wurden auf einem Karren nach Neuß gebracht. Der Polizeikommissar verhörte die Räuber. Er warf ihnen den Einbruch im Rathaus vor, aber sie beteuerten immer wieder, dass sie in dem Wirtshaus nur zufällig zusammengetroffen wären.
    Bis zur Verhandlung wurden sie eingesperrt. Damian Hessel und seinen Gefährten brachte man in das Stadtgefängnis und kettete sie mit Halsspangen an die Mauer. Den Deutzer Michel und Mathias hielt der Richter für gefährlicher. Sie wurden in den Mühlenturm gebracht.
    Der Turm bildete die Südwestecke der Stadtbefestigung. Er hatte einen Wehrgang, der dicht über der Stadtmauer wie eine Galerie rund um den Turm führte. Im oberen Teil des Turms war das Mahlwerk. Es lag so hoch, dass die großen Windmühlenflügel nicht einmal ganz bis zur Stadtmauer hinunterreichten. Die Gefangenen sperrte man in den Unterturm. Sie wurden nicht angekettet. Noch nie war es jemandem gelungen, aus diesem Gefängnis zu entfliehen. Die Zelle war fensterlos. Die Tür bestand aus dicken Eichenbohlen und hatte ein viereckiges Guckloch, durch das der einzige Lichtschimmer in den stinkenden, modrigen Raum fiel. Sie wurde von außen mit vier Eisenstreben und Schlössern gesichert.
    Jeder Versuch, die Wachen zu überlisten, misslang. Mathias trieb den Deutzer Michel an, sich in der engen düsteren Zelle zu bewegen, damit die Muskeln nicht erschlafften. »Wenn wir rauskommen, müssen wir Kraft haben.«
    Die beiden wanderten stundenlang die sechs Schritte bis

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