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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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nicht schwimmen, doch der Kanal war nicht so tief Die Wachsoldaten schossen von der Stadtmauer hinter ihnen her, aber in der Dunkelheit konnten sie nicht genau zielen. Am anderen Ufer schlichen Mathias und Michel davon. Die Wache kehrte fluchend zu ihrem Feuer zurück, eine Verfolgung wäre sinnlos gewesen.
    Erst beim Tagesanbruch erreichten die beiden die Neußer Furt. Michel hatte sich bei dem Sturz den Fuß verstaucht, Mathias konnte die Arme nur noch mühsam bewegen.
    Zehn Tage lag Mathias im Zimmer seiner Frau. Langsam erholte er sich von den Anstrengungen der Flucht. Gertrud versorgte ihn gut, und er genoss ihre Fürsorge. Seine Tochter musste neben ihm liegen. Er flüsterte zärtlich mit ihr und machte Versprechungen.
    Gertrud war neidisch auf ihr eigenes Kind. Sie hatte ihren Mann noch nie mit so einer weichen, schmeichelnden Stimme sprechen hören. Sie sah seine behutsame Zärtlichkeit, die sie nie erfahren hatte. Sie spürte die Liebe zwischen ihrem Mann und dem Kind und fühlte sich ausgeschlossen. Wenn sie das Kind versorgte, fasste sie es jetzt manchmal rauer an als früher und redete streng mit ihm.
    Immer wenn das Mädchen schlief, ließ Mathias sich den Sack mit den Schlössern bringen. Er übte manchmal drei bis vier Stunden ohne Unterbrechung, schloss sie mit einem gebogenen Nagel auf, öffnete sie mit einem einfachen Bindfaden oder mit einem Stück Holz. Er übte mit geschlossenen Augen und versuchte es auch einhändig. Ein einfaches Schloss öffnete er jetzt schon in Sekundenschnelle. In der Neußer Bande gab es keinen, der geschickter mit dem gebogenen Nagel umgehen konnte als Mathias.
    Am Morgen des 6.   November stellte man im Gefängnis entsetzt fest, dass auch die beiden Meersener Räuber geflohen waren. Sie hatten sich von den Ketten befreit und neben der Zellentür ein rundes Loch in die Mauer gebrochen.
    Auch sie kamen in die Neußer Furt. Damian Hessel erzählte, wie er einen der Wächter mit Versprechungen bestochen hatte, heimlich ein Brecheisen und einen Nagel in die Zelle zu schmuggeln. In derselben Nacht hatte er die Ketten geöffnet und seinen Gefährten befreit. Dann hatten sie gemeinsam die Türeinfassung aufgestemmt.
    Zufällig stiegen spät am Abend des 6.   November zwei Reiter des holländischen Trupps im ›Schwan‹ ab. Mathias und Damian Hessel erkannten den Fähnrich wieder, der sie am 19.   Oktober in dem Wirtshaus an der Straße nach Kempen verhaftet hatte. Es kam zu einem wilden Kampf zwischen Mathias, dem Fähnrich und Damian mit dem Soldaten. Mathias stach dem Fähnrich das Messer bis zum Heft in die rechte Brust. Schwer verletzt konnte sich der junge Fähnrich wegschleppen. Der Soldat bedrängte Damian Hessel. Mathias sprang dem Kumpan zu Hilfe, dann erschlugen sie den Mann gemeinsam und warfen ihn in einen Tümpel.
    Nach dem Mord verließen alle Anführer fluchtartig die Neußer Furt. Mathias blieb bei seiner Familie. Von einem französischen Trupp wurde er im Garten des ›Schwan‹ verhaftet und nach Köln gebracht. Weil man nicht wusste, wer er war, sperrte man ihn zu kleinen Dieben und Bettlern ins Steinhauer-Zunfthaus. Mit dem gebogenen Nagel, den er jetzt immer fest an das linke Schienbein gebunden trug, öffnete er ungehindert die Tür zum Hof und entkam über das Dach des Nachbarhauses. Am Abend schlich er zum Bordell der Düwels Trück. Die fette Hurenwirtin räumte ihm großzügig Kredit ein.
    Allerdings musste er versprechen, sie nach seinem nächsten Raubzug reichlich zu entschädigen.
    Er blieb eine Woche und verließ kaum das Zimmer im obersten Stockwerk des Bordells. Eine der Frauen, weit über dreißig Jahre alt, hager und mit einer tiefen, heiseren Stimme, verstand es, Mathias so in ihren Bann zu ziehen, dass sie mit ihm machen konnte, was sie wollte. Er fand diese Frau hässlich und ärgerte sich, dass sie eine solche Macht über ihn hatte, aber gerade das genoss er auch.
    Er trank viel.

Januar 1797
    »Raus, Mathias. Du hast nicht ewig Kredit. Mit n paar Dukaten lass ich dich wieder ins Haus!« Die Düwels Trück hatte die dicken Arme in die breiten Hüften gestemmt, und Mathias war ihr fast dankbar, auf diese Weise von der Frau loszukommen. Der Kopf war schwer vom vielen Schnaps. Rund eine Stunde lief Mathias ziellos durch die verrufene Thieboldsgasse, wo sich nur Bettler, Diebe und Tagelöhner herumtrieben. Hier war er sicher vor Soldaten oder Polizisten. Er streifte über den Griechenmarkt bis hin zur Cordulastraße. Nur selten verirrten

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