Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
sich Bürger aus guten Häusern in diese Gegend. Mathias trug einen Mantel und dicke Schuhe. Es war ein klarer, kalter Tag. Kinder bettelten ihn an, er zeigte ihnen seine leeren Taschen, sie glaubten ihm nicht und schrien ihm »Geizhals!« nach. Mathias lächelte, seine Tochter sollte niemals betteln müssen, dafür wollte er sorgen. Jetzt dachte er auch wieder an seinen eigenen leeren Geldbeutel.
Er ging zum Neumarkt und betrat das vornehme Gasthaus ›Zur Stadt Prag‹. Ehe ein Diener ihn nach seinen Wünschen fragen konnte, hatte Mathias schon einen Blick in den leeren Schankraum geworfen. Jetzt nickte er dem verwunderten Diener freundlich zu und verließ wortlos das teure Gasthaus. Auch in den Weinstuben am Alter Markt fand er niemanden, den er ausrauben konnte.
Es war Freitag, auf dem Markt priesen die Weiber laut schreiend ihre Waren an. Geschäftig drängten sich die Bürgersfrauen an den Ständen und Buden vorbei. Mathias entdeckte eine Frau mit einer teuren Spitzenhaube. Ihr Überwurfmantel war aus feinem französischen Stoff. Hinter ihr ging eine Magd mit dem Einkaufskorb. Mathias folgte den beiden. Sie blieben an einem Gemüsestand stehen, und die Frau wählte Möhren aus. Unter dem Mantel zog sie einen dicken Geldbeutel hervor und suchte nach der passenden Münze. Die Magd ließ sich die Möhren in den Korb schütten. Das war die Gelegenheit. Mathias schob drei umstehende Frauen auf den Stand zu. Sie stolperten und fielen mitsamt Mathias, der Magd und der vornehmen Dame in den Gemüsestand. Das Marktweib schrie, als hätte man ihr den Rock vom Leib gerissen. Die Frauen strampelten mit den Beinen und beschimpften sich gegenseitig. Mathias hatte den Geldbeutel nicht aus den Augen gelassen. Er schnappte ihn, wühlte sich aus den schimpfenden Frauen heraus und drängte sich durch die lachenden Zuschauer. Erst als er den Markt schon fast verlassen hatte, hörte er hinter sich den erschreckten Schrei der Dame, die nun bemerkt hatte, dass ihr Geldbeutel fehlte. In der Nähe von St. Kolumba drückte er sich in einen Hausflur und zählte den Inhalt. Er hatte elf Taler und achtunddreißig Stuber erwischt. Das war ganz gut, es reichte wenigstens, um eine Zeit lang in einer Herberge zu wohnen, aber um die Düwels Trück zu bezahlen, brauchte er mindestens das Sechsfache. Mathias wärmte sich in einer kleinen Wirtsstube auf und trank einen Schnaps. Danach ging er zum Dom. Trotz der Kälte waren die Bettler unterwegs. Einige von ihnen saßen auf Stühlen. Sie baten die Bürger nicht um ein Almosen, sondern sie forderten es. Gab der Vorbeieilende nichts, so fluchten sie ihm nach und drohten ihm Prügel an.
Um die vielen Klöster Kölns scharten sich die wirklich Armen und die Landstreicher. Sie erhielten hier regelmäßig Essen und oft sogar Kleider. Um den Dom aber rottete sich die obere Klasse der professionellen Bettler zusammen. Die Gruppenhäupter bettelten von Stühlen aus, während ihre Angehörigen und Freunde entweder die Häuser der wohlhabenden Bürger abbettelten oder die Besucher des Doms so lange behinderten, bis sie einige Heller bezahlten. Es hatte sich schon seit Jahren so eingebürgert, dass jede vermögende Familie einen festen Bettlerstamm hatte, der regelmäßig anklopfte und dann sogar bis zu einem halben Reichstaler erhielt.
Wer von den Armen nicht zu den mächtigen Bettlerfamilien gehörte, führte ein armseliges Leben. Die einträglichen Bettelplätze wurden von den Eingesessenen brutal verteidigt, oft kam es zu blutigen Schlägereien. Die Verlierer waren auf die Speisungen in den Klöstern angewiesen und mussten im ersten Tageslicht die Kot- und Abfallhaufen vor den Häusern untersuchen, ob die sparsamen Bürger nicht doch etwas Brauchbares fortgeworfen hätten.
Bei den reichen Bettlern wollte Mathias sich umhören, vielleicht wusste einer ein lohnendes Haus. Er gab einem sitzenden Gruppenoberhaupt einen halben Taler und hockte sich zu ihm. Plötzlich entstand Unruhe unter der Bettlermenge. Einige Krüppel, eben noch jammernde Gestalten, sprangen auf und rannten leichtfüßig in die dunklen Gassen. Polizisten, unterstützt von französischen Soldaten, griffen sich hier und da einen der Zerlumpten und fragten nach den Passpapieren. Mathias hatte nur eine Militärbescheinigung aus dem Jahre 1795. Die war längst nicht mehr gültig.
Wieder wurde er verhaftet. Er wollte nicht auf sich aufmerksam machen und wehrte sich deshalb nicht. Der Mörder des holländischen Reiters wurde noch immer
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