Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
heruntergekommenen Quartier hinter der Ratinger Mauer, oder bei der Marianne am Flingertor, die ein besonders billiges Bordell betrieb.
Februar 1797
Nach einigen Tagen traf auch Heckmann mit mehreren Kumpanen bei Paffrath ein. Sie hatten in der vergangenen Nacht einen Laden in Duisburg überfallen und den erbeuteten Zucker bereits in Mülheim verkauft. Jetzt boten sie dem Düsseldorfer Hehler die gestickten Bänder an. Paffrath bezahlte gut, und am Abend tranken Mathias und der schwarzbärtige Heckmann zusammen in der Schankstube. Mathias fluchte über die vielen Verhaftungen. Heckmann sah ihn ernst an. Schließlich sagte er: »Du bist ja fast noch ein Junge mit deinen neunzehn Jahren, aber du bist besser als viele. Du gehörst zu uns Anführern. Ich muss dir was zeigen. Komm mit!«
Er ließ sich von Paffrath eine Flasche Branntwein geben und stieg mit Mathias die engen Holzstiegen hoch. Dann verschloss er die Tür seiner Kammer. Mathias starrte ihn verwundert an. Heckmann sagte halblaut: »Pass auf, Fetzer. Es gibt einige Mittel, mit denen man leichter aus dem Gefängnis herauskommt.« Und dann zeigte Heckmann ihm, wie man eine kleine Säge in den Stiefel klebt. Er zog seinen breiten Gürtel aus dem Hosenbund und löste zwei Querriemchen. Jetzt wurde aus dem Gürtel eine gut drei Meter lange, feste Lederschnur. Mathias kannte diese Tricks. Er zog sein Hosenbein hoch und zeigte Heckmann den gebogenen Nagel, den er immer an das Schienbein gebunden trug.
»Fetzer, hör zu: auch in den großen Gefängnissen sind in den Zellen Ritzen in den Mauern oder Spalten im Boden. Wenn einer von uns abhauen kann, dann steckt er da sein Werkzeug rein, manchmal auch ein Geldstück. Das tut er nicht nur für den Nächsten. Denn wenn du wieder geschnappt wirst und in dieselbe Zelle kommst, kannst du gleich wieder raus. Die Wärter filzen oft die Zellen und finden Säge oder Nagel, aber ein paar von uns sind so vorm Strick davongekommen.«
Mathias nickte nur. Bisher war er noch nicht auf den Gedanken gekommen, in einer Zelle nach einer versteckten Säge zu suchen.
Heckmanns Stimme wurde noch leiser. »Und jetzt kommt das Wichtigste, was nur wir Anführer wissen!« Mathias musste bei dem Leben seiner Tochter schwören, dass er das Geheimnis nur an einen Räuberanführer weitergeben würde. »Niemand von den anderen darf es erfahren. Da weißt du nie, ob die dann bei der Polizei das Maul halten können!«
Nun zog Heckmann unter seiner Jacke einen Beutel hervor. Er öffnete ihn und schüttete den Inhalt auf die Strohmatratze: zwei Wachsscheiben, vier Golddukaten, einige aufgerollte Uhrfedern und ein längliches Wachsei. »Das ist ein Chlamony, manche sagen auch Rebbermosche.« Heckmann nahm das Ei mit zwei Fingern. »Hier hab ich einen Golddukaten und eine eng gewickelte Uhrfeder reingeknetet.«
»Warum denn ne Uhrfeder?«
Der Ältere gab ihm eine der Federn aus dem Beutel. »Guck sie dir mal richtig an!«
Das Eisenband war an beiden Randern aufgeraut. Heckmann nahm die Feder und ging zur Kammertür. Er spannte das Stahlband mit den Händen aus und fuhr zweimal mit den Kanten über den Holzknauf Kleine Späne fielen zu Boden. Mathias stand auf und grinste. »Das ist gut.«
Heckmann zeigte auf das Ei. »Wenn du Geld und so ’ne Säge in der Zelle hast, kommst du leichter wieder raus.«
»Warum steckt das im Wachs, und was mach ich mit dem Ding bei ner Untersuchung?«
»Das ist das Geheimnis!« Heckmann hielt das Chlamony wieder mit zwei Fingern. »Wenn du geschnappt wirst und es guckt beim Transport grad keiner hin, dann drückst du dir das Ei hinten rein.« Heckmann machte die Bewegung vor und lachte dröhnend.
Mathias blieb ernst. Er nahm das Ei und drehte es in der Hand. »Das ist gut.« Er drückte das Ei vorsichtig. Heckmann hatte sich wieder beruhigt. »Wenn du aufs Jaucheloch musst, nimmst du es natürlich vorher raus.« Mathias grinste.
»Fetzer, dir wird das Grinsen vergehen, wenn du das Chlamony zwei Tage im Darm hast. Du wirst schreien, wenn du dich hinsetzen willst. Dicke Hämorrhoiden am Loch sind nichts dagegen.«
»Die hab ich nicht.« Mathias war begeistert. Am nächsten Tag kaufte er bei einem Hausierer drei Uhrfedern. Er raute die Ränder mit einer Feile an und schärfte sie mit einem Wetzstein. In der Nacht ließ er sich über den Rhein rudern und ging zur Neußer Furt. Er brauchte Geld, einen Golddukaten hatte er schon lange nicht mehr in der Hand gehabt.
Vorwurfsvoll fragte ihn Gertrud, was sie allein
Weitere Kostenlose Bücher