Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
gesucht. Diesmal sperrten sie ihn zusammen mit zwei Bettlern in eine Zelle des Gemeindehauses. Mathias überprüfte sofort den Raum, und nach kurzer Zeit hatte er eine Fluchtmöglichkeit gefunden. Zuerst erkaufte er sich mit je einem halben Taler das Schweigen seiner Zellengenossen. Bevor er verschwinden würde, bekämen sie noch einen halben Taler.
Das Lichtloch über der Tür war mit einem dünnen Eisenstab gesichert. Mathias brach ihn aus der Halterung. Der Spalt war für ihn gerade breit genug. Er zwängte sich hindurch und stand in dem engen Raum vor der Zelle. Die Außentür hatte kein Schloss, aber sie wurde von der anderen Seite mit schweren Eisenriegeln verschlossen. Sie aufzubrechen war unmöglich. Er kroch in die Zelle zurück und setzte die Eisenstange wieder in das Oberlicht.
Nachmittags brachte der Wärter den Gefangenen ein Stück Brot. Mathias bat mit klagender Stimme: »Bring mir Wasser! Ich hab Durst.«
Der Wärter nickte und verließ die Zelle. Er verriegelte nur die Innentür, die zweite Tür ließ er offen. Mathias gab den beiden Bettlern schnell die versprochenen halben Taler und schlüpfte durch das Oberlicht. Er zog langsam die Außentür auf, doch dann zuckte er zurück. Auf dem Gang unterhielten sich zwei Offiziere der Wache. Er kletterte zurück in die Zelle. Der Wächter brachte das Wasser, und Mathias bedankte sich höflich. Als der Beamte verschwunden war, verlangte Mathias von den Bettlern sofort die halben Taler zurück. Aber die beiden lachten ihn aus. Sie drohten, den Fluchtplan zu verraten, wenn er ihnen nicht noch zusätzlich je einen halben Taler bezahlen würde. Mathias hätte sie am liebsten umgebracht, aber er konnte nichts machen. Er war auf ihr Schweigen angewiesen.
Am nächsten Nachmittag bat er wieder um einen Krug Wasser. Wieder schloss der Wärter nur die Zelle ab, die Außentür ließ er offen.
Niemand stand im Gang. Mathias ging mit ruhigen Schritten aus dem Gemeindehaus und trat auf den Hof. Er sah den Wärter zu spät, um sich noch im Haus zu verstecken. Der Beamte hielt die Augen fest auf den Wasserkrug gerichtet. Mathias ging schnell auf ihn zu, machte ihm Platz und grüßte knapp. Der Wärter hob den Blick, grüßte höflich zurück und sah wieder auf den vollen Krug. Mathias erreichte sicher das offene Hoftor.
Nach der Flucht aus dem Gemeindehaus verließ Mathias Köln und wanderte bis an das Neußer Rheinufer. Er ließ sich für zehn Stuber über den Fluss rudern. Während Neuß zu Frankreich gehörte, war Düsseldorf seit 1795 lediglich von den Franzosen besetzt, gehörte aber noch zum Herzogtum Berg. Hier ging Mathias zum Wirt und Hehler Paffrath, der die Räuber gerne bei sich wohnen ließ. Er war so reich, dass er den Banden fast jede Beute abkaufen und auch bar bezahlen konnte. In geheimen Kellerräumen hatte er ein großes Lager an Silberschätzen, kostbaren Tuchballen und goldenen Uhren. Tagsüber bot er im Torbogen seines Hauses Gästen und Spaziergängern die schöne und kostbare Ware an. Manchmal entdeckte dort ein Kunde einen Leuchter, der noch vor gar nicht langer Zeit unter dem Madonnenbild in seiner Wohnstube gestanden hatte. Lief dann der Mann zur Polizei und zeigte den Hehler an, so wurde die Anzeige erst gar nicht aufgenommen. Im Gegenteil, der Mann konnte froh sein, wenn er nicht selbst unter falschem Verdacht festgenommen wurde. Paffrath hatte bei der Polizei und den Franzosen zu viele Freunde, denen er regelmäßig etliche Dukaten zusteckte.
Der Hehler schätzte Mathias, er hatte schon viel an den Beutestücken verdient, die ihm der Räuber verkauft hatte. Jetzt bot er ihm kostenlose Unterkunft an.
Mathias war durch die vielen Verhaftungen in den letzten Monaten aufgeschreckt worden. Es war ihm klar, dass die Männer seiner Bande auseinander laufen würden, wenn er zu lange oder zu oft fortblieb, oder dass einer der anderen Offiziere ihn als Anführer verdrängen würde. Deshalb übte er täglich an den verschiedensten Schlössern, die er in der Herberge fand. Bald gab es keine Tür mehr, deren Schloss er nicht in kurzer Zeit öffnen konnte, selbst wenn der Schlüssel auf der anderen Seite steckte. Auch die anderen Räuberoffiziere wagten seit den Vorfällen in der Neußer Furt noch nicht, wieder in den ›Schwan‹ zurückzukehren. Sie wohnten jetzt entweder in Mülheim an der Ruhr bei dem Wirt Sellerbeck oder in Düsseldorf bei Paffrath. Die einfachen Räuber tranken und hausten in der ehemaligen Judenherberge, einem billigen,
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