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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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komme und sie abhole.« Christine verstand. »Du willst, dass ich zu ihr gehe.« Ihre Augen blitzten. »Das ist eine gute Idee! Ich hol sie aus Mainz raus.« Mathias war erleichtert. Johann sagte noch: »Wir treffen uns in Schierstein bei der Witwe Tauber. Hilde kennt das Haus.« Christine fuhr mit der Extrapost nach Kaub und von da weiter mit der Postkutsche nach Wiesbaden, dort ging sie über die Rheinbrücke nach Mainz.
    Nach Engers war es nicht weit. Der Turm lag etwas außerhalb des Ortes. Stockfinster war es, als Johann, Mathias und Hammerich, den sie noch mitgenommen hatten, dort ankamen. Es waren keine Wachen aufgestellt worden. »Die glauben, hier kommt keiner mehr raus!« Mathias lachte. Zuerst versuchten sie, das Schloss mit einem Nagel zu öffnen, aber sie schafften es nicht. »Wir müssen das ganze Schloss rausbrechen«, flüsterte Müller. Mathias nickte: »Wir brauchen einen Pflug, damit sprengen wir es.«
    Auf einem Feld in der Nähe des Turmes fanden sie einen Eisenpflug. Sie hielten ihn zu dritt und rammten ihn gegen das Schloss. Schon nach dem ersten Stoß begann innen ein jämmerliches Geheul. »Warum schreit der Idiot so?« Mathias schickte Hammerich an die Straße, die in den Ort führte. »Gib Alarm, wenn jemand kommt. Der alte Bock schreit uns noch die Bürgerwehr auf den Hals.« Sie stießen den Pflug noch fünfmal gegen das Schloss, bis es endlich brach. Jikjak schrie immer noch. Seine Schreie klangen hohl, wie aus großer Tiefe. Mathias und Johann tasteten sich durch den dunklen Turm. Sie fanden ein Eisengitter, das über einem schwarzen Loch in den Boden eingelassen war. Tief unter sich hörten sie die Schreie des Gefangenen. »Halt dein Maul, Jikjak, wir holen dich raus! Halt endlich dein verdammtes Maul!« Das Geschrei verstummte. Johann rief durch die Stäbe: »Wie tief bist du?«
    »Ungefahr sechs Meter. Wer seid ihr?«
    »Freunde!«
    »Ich steh bis zum Bauch im Wasser«, jammerte Jikjak.
    »Gibt’s eine Leiter hier?«, fragte Mathias.
    »Die Bürgerwehr nimmt sie immer mit.«
    »Wir holen was, womit wir dich raufziehen können, bleib still, wir kommen gleich wieder«, rief Mathias.
    Am Rheinufer fanden sie eine lange Stange und ein großes Netz. Sie stemmten das Gitter von dem Loch und knoteten das Netz an ein Stangenende. »Jikjak, wir lassen jetzt ein Netz runter, halt dich dran fest.« Das Netz klatschte auf das Wasser. Kurz darauf klang die krächzende Stimme des Gefangenen. »Ich halt mich.«
    Langsam zogen die Männer an der Stange. Fast hätten sie schon das Netz mit den Händen greifen können, als Jikjak mit einem verzweifelten Schrei wieder in die Tiefe stürzte. Nach heftigem Spucken und Prusten rief er kläglich. »Ich kann mich nicht halten.« Mathias und Johann fluchten und ließen die Stange mit dem Netz wieder bis zum Wasser hinunter. »Bind das Netz um ein Bein! Verknot es gut! Wir holen dich schon raus«, rief Mathias wütend. Es dauerte einige Minuten, dann rief Jikjak: »Fertig!«
    Jetzt zogen sie ihn aus dem Loch. Zuerst packten sie ein Bein, dann den ganzen Mann. Er stank wie ein verfaultes Tier. Er konnte kaum noch gehen. Sie nahmen ihn an den Achseln und trugen ihn aus dem Turm. Mathias pfiff Von der Straße kam Hammerich zu ihnen.
    Es war eine warme Sommernacht. Sie schleppten den erschöpften Mann zwei Stunden weit in die nassauischen Wälder hinein, erst dann setzten sie ihn ab. »Du stinkst wie ’ne Leiche.« Mathias lachte, plötzlich schwieg er und dachte an Gertrud. »Ich leg mich«, sagte er und kroch unter einen Busch.
    Früh am nächsten Morgen wurden die Männer wach. Nur Jikjak schlief noch. Jetzt konnten sie den Mann bei Licht sehen. Johann Müller schüttelte sich: »Wie ein Gespenst!« Der Alte hatte nur noch löchrige, faulige Fetzen auf dem Leib. Seine nackten Beine waren schwarz von Blutegeln. Die Tiere saßen auch auf den nackten Stellen von Bauch und Rücken. Er schnarchte mit offenem Mund. Seine Zähne waren nur noch braun-schwarze Stummel. Die Haare und der lange Bart waren verfilzt und voller Läuse. »Wir können uns mit dem Kerl nirgendwo sehen lassen«, sagte Mathias. »Die verhaften uns gleich alle.« Sie beschlossen, ihm eine Jacke und zwanzig Taler zu geben. »Damit kommt er wieder auf die Füße.« Sie weckten ihn. »Du musst dich waschen und die Biester aus der Haut ziehen.« Johann zeigte auf die Blutegel. Jikjak stöhnte: »Noch zwei Tage im Wasser, und ich wär verreckt.« Er sah die Männer aus rot geäderten Augen an. »Wer

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