Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
stech ich dich ab.«
Nach acht Stunden kam der Bote zurück. Er brachte einen Beutel mit dreiundzwanzig Karolinen. Er berichtete, dass in dem Haus des Händlers der Polizeihauptmann aus Igstadt, der Jakob aus Mainz, der Hirsch aus Sonnenberg und Aron aus Wiesbaden gesessen hätten. Die Räuber stießen Verwünschungen und Drohungen aus. »Diese Banditen! Diese Verbrecher!« Aber sie konnten nichts machen.
Die Bande beschloss, die Wiesbadener Gegend zu verlassen. Johann und Mathias überlegten, was sie als Nächstes unternehmen sollten. »Ich würde am liebsten ganz von hier weg«, sagte Johann. »Mir hat mal einer von Hamburg erzählt. Da ist es gut. Da ist das Meer. Da sind die Schiffe viel größer als hier auf dem Rhein. Jetzt im Winter kommen sie mit großer Ladung an und bleiben bis zum Frühjahr im Hafen. Da könnten wir viel zusammen machen.«
»Und unsere Weiber?«, fragte Mathias.
»Die lassen wir hier. In Hamburg gibt es bestimmt bessere!«
Mathias fand die Idee gut. »Wir werden Seeräuber. Wir kapern Schiffe!«
In Köln saß der öffentliche Ankläger Anton Keil in seinem Büro und beugte sich leicht über den Schreibtisch. Die Ärmel seiner grauen, vornehmen Jacke hatte er etwas zurückgeschoben. Eine scharfe Falte stand auf seiner hohen Stirn, die buschigen Brauen wölbten sich über den stechenden grünen Augen. Ein Kurier hatte ihm die Nachricht gebracht, dass in Wesel mehr als zwanzig Banditen im Gefängnis säßen. Anton Keil strich sich mit den Fingern über seine große, fast kantige Nase, dann sagte er zu seinem Sekretär: »Du fährst nach Wesel, Diepenbach!« Diepenbach war knapp dreißig Jahre alt, ein Schüler des Professors und bei dessen Berufung zum Ankläger zu seinem Sekretär geworden.
»Du fährst nach Wesel und fragst den Gefängniskommandanten um Erlaubnis, jeden der Räuber sehen zu dürfen. Du schreibst dir genau auf, wie sie aussehen. Du lässt sie dir nackt vorführen und notierst jede Besonderheit und jede Narbe, die du findest.«
Diepenbach wunderte sich. »Wir können doch in Wesel nichts ausrichten.«
»Leider nicht.« Keil lächelte. »Aber wann haben wir schon einmal die Gelegenheit, so viele Banditen an einem Ort zu sehen? Ich will von jedem eine ganz genaue Beschreibung haben. Falls einer nicht verurteilt wird oder aus dem Gefängnis ausbricht, haben wir alle Angaben über ihn und können ihn bei seiner nächsten Verhaftung leichter überfuhren. Die Verbrecher werden dir falsche Papiere mit falschen Namen zeigen, schreibe dir alles auf. Wahrscheinlich werden sie auch später diese Decknamen wieder benutzen.«
Diepenbach begriff immer noch nicht ganz.
»Wir werden eine Kartei anlegen«, sagte der öffentliche Ankläger geduldig. »Ich werde bald jeden Verbrecher kennen, der rechts und links des Rheins sein Unwesen treibt.« Anton Keil zündete sich eine lange holländische Zigarre an. »Ich werde sie alle bekommen. Wenn meine Vorschläge zur Verschärfung der Ausweispflicht und der Amtshilfe in den rechtsrheinischen deutschen Staaten und in den einzelnen Departements endlich durchgesetzt werden, dann, Diepenbach, werden wir jedes Gefängnis entlang des Rheins besuchen und jeden Gefangenen überprüfen. Dann wird uns keiner, der nicht wirklich unschuldig ist, entgehen.«
Der Sekretär nahm am nächsten Tag die Postkutsche und reiste nach Wesel.
Mathias hatte seinen Männern vorgeschlagen, mit Johann und ihm nach Hamburg zu gehen. Bis auf zwei waren alle dazu bereit gewesen. Als ersten Treffpunkt hatten sie eine Herberge bei Wetzlar vereinbart.
Wohlbehalten traf die Bande ein. Mathias kaufte bei einem Trödler eine dicke, schwarze Jacke. Im Laden fand er auch eine Kapitänsmütze. Stolz führte er sie dem Straßburger vor. »Die ist für Hamburg. Man kann nie wissen.« Er besah sich im Spiegel seiner Messerklinge.
Johann gefiel die Idee. Mathias begleitete ihn zum Trödler. Als die beiden den Laden wieder verließen, hatten sie nicht nur eine zweite Kapitänsmütze, sondern auch noch für jeden eine französische Offiziersuniform gekauft. »Die will hier keiner«, hatte der Trödler gesagt, »ich lass sie euch billiger.«
Der Weitermarsch war auf den nächsten Vormittag festgesetzt worden. Mathias mietete früh am Morgen zwei frische Pferde. Einige Kameraden hatten sich bereits zu Fuß auf den Weg gemacht. Mathias und Johann wollten gerade in die Sättel steigen, als eine Extrapost die Dorfstraße entlangjagte. Der Kutscher hieb auf den Gaul ein, bis der
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