Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
wanderte bis nach Godesberg, setzte da wieder über den Rhein und marschierte weiter nach Neuwied.
Viermal ließ Anton Keil noch seinen Gefangenen zum Verhör bringen. Johann Müller rauchte seine Zigarren, aber er ließ sich weder durch Drohungen noch durch Versprechungen zu einer Aussage verleiten.
In den ersten Januartagen des Jahres 1800 sagte Diepenbach zu seinem Vorgesetzten: »Ich habe ein Gespräch der zwei anderen Häftlinge in Müllers Zelle mitangehört. Sie sprachen von Flucht und dass es ganz leicht sein würde.« Der öffentliche Ankläger schnippte mit dem Finger. »Müller! Der Johann Müller plant eine Flucht. Bringe mir sofort den Hauptmann der Lohnwächter.« Eindringlich ermahnte Anton Keil den Hauptmann, in den nächsten Tagen ganz besonders auf die Gefangenen zu achten.
Am Dreikönigstag machte der Advokat Kalter dem Laurentianer-Gymnasium eine Spende von hundert Dukaten. Er wurde von den Professoren als angesehener Bürger geehrt.
Am 10. Januar stürzte Diepenbach bleich in das Zimmer seines Vorgesetzten. »Heute Nacht sind die drei Gefangenen aus der Zelle, aus Müllers Zelle, ausgebrochen.« Anton Keil stützte die Arme auf den Tisch und faltete die Hände so, dass die Daumen seine Nase berührten. »Ich habe es geahnt. Wie ist es passiert?«
Der Sekretär berichtete, dass die Gefangenen den Wächter überlistet hätten, denn der lag gefesselt und geknebelt auf dem Zellenboden. Auch auf dem unteren Flur waren die beiden Lohnwächter geknebelt und gefesselt aufgefunden worden. »Die drei Häftlinge sind dann in den Innenhof geflüchtet. Hier hat eine Leiter für sie bereitgestanden. Sie sind über die Mauer auf das Schuppendach gestiegen und in den Garten des Zollinspektors gesprungen und dann …«, Diepenbach machte bedrückt eine Pause.
Der öffentliche Ankläger sah ihn fragend an. »Dann … dann sind sie durch Ihren Garten geschlichen und so auf die Gasse gekommen. Da waren sie frei.«
Anton Keil verdächtigte sofort den Advokaten Kalter, den Banditen zur Flucht verholfen zu haben. Er verfasste seine Anklageschrift und übersandte sie dem Direktor der Geschworenen, der dem Friedensrichter Kramer beigeordnet war. Die Anklage gegen Kalter wurde niedergeschlagen. Die Geschworenen rühmten den Advokaten als einen ehrenwerten Bürger und Förderer der Wissenschaft, dem eine Konspiration mit den Banditen nicht zuzutrauen war.
Als Johann Müller zu dem Haus des Advokaten schlich, um seinen Beuteanteil zu holen, standen zwei bewaffnete Männer der Bürgerwehr vor der Eingangstür. Der Straßburger glaubte, dass man Kalter festgenommen hätte. Noch am selben Tag verließ er auf einem Kappeskarren unbemerkt die Stadt und erreichte nach zwei Tagen Neuwied.
Hilde weinte, als sie ihren Mann wiedersah. Erst ein paar Stunden später erfuhr Mathias von der Rückkehr des Straßburgers. Sie trafen sich im Schankraum. Mathias sah den Freund ernst an. Johann lachte breit. »Fetzer, ich freu mich! Jetzt sind wir wieder zusammen.« Mathias zwang sich zu einem Lächeln.
Die beiden Männer tranken Branntwein. Der Straßburger erwähnte den Streit bei Dormagen mit keinem Wort. Er erzählte von den Verhören des öffentlichen Anklägers. Bei der zweiten Flasche lachte Mathias über die Scherze des Freundes, es gelang ihm, die Enttäuschung, die er nach dem Streit empfunden hatte, zu vergessen. Er war froh, dass Johann dem Anton Keil entwischt war.
Nachdem beide ihren Rausch ausgeschlafen hatten, schenkte Mathias dem Freund dreihundert holländische Gulden. »Damit du Hilde was schenken kannst.«
»Beim nächsten Überfall geb ich dir was zurück.«
Mathias grinste und schüttelte den Kopf.
Die Freunde berieten, bei den zukünftigen Überfällen Neuwied und die nähere Umgebung zu meiden. »Es ist zu gefährlich. Die Franzosen suchen nach uns, die Deutschen auch. Die Bauern und Händler wehren sich, sie haben nicht mehr so ’ne Angst. Wir müssen unser Nest sauber halten, sonst können wir bald nicht mehr auf die Straße.«
Johann nickte. »Mensch, Fetzer, du bist ein richtiger General!« Mathias blähte die großen Nasenflügel. So etwas hörte er gern.
Ende Januar zogen sie mit einigen Kumpanen wieder nach Deutz. Sie wohnten beim Bäcker Linz. Hier verkehrten kleine Händler, die mit ihren Karren weit herumkamen. In der Nacht vom 1. auf den 2. Februar zogen die Räuber gut bewaffnet zum Strasserhof im Bergischen, um den Kaufmann Wilhelm Becker zu überfallen. Sie erbeuteten Waren im Wert
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