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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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und ihre Urteile zu grausam. Er, dessen einzige
     Leidenschaft damals noch Zéphyr galt, verstand den Fanatismus der sans-culottes nicht. Die erregten Reden stießen ihn ab –
     ganz im Gegensatz zu Mars, der Stunden im Klub der Jakobiner verbringen konnte und zu Hause ganze Tiraden wiedergab. André
     hatte die Schreckensherrschaft wie eine brutale, aber unabdingbare Heilungsmethode empfunden. Es hatte ihn nicht daran gehindert,
     an die neuen Werte zu glauben und an diese Republik, deren Anfänge mitzuerleben er stolz war.
    Ja, dachte André, während er die Kirche betrat und ihm die erregten Stimmen der Redner entgegenschallten, so dachte ich bisher.
     Wie schnell sich doch die Ansichten änderten, sobald man persönlich betroffen war! Sollte Marie-Provence recht gehabt haben
     mit ihren Vorwürfen? War er denn nichts als ein Träumer, der den Kontakt zum wahren Leben verloren hatte?
    |250| Der Anblick seines Bruders ersparte es ihm, allzu ehrlich zu sich selbst sein zu müssen. Er entdeckte Mars’ rundliche Gestalt
     auf halber Höhe des langgestreckten Raumes, auf der unteren Tribüne. Er befand sich in reger Auseinandersetzung mit seinem
     Nachbarn, während ein junger Mann am Rednerpult sein Publikum mit Worten bombardierte. André hatte schon einigen heißen Debatten
     des Klubs beigewohnt, heute jedoch schien die Atmosphäre unter dem Kirchengewölbe besonders aufgeladen zu sein. Keiner der
     Anwesenden saß ruhig auf seiner Bank, allerorts wurde gestikuliert und debattiert, und André hatte Mühe, in dem Durcheinander
     jemanden zu finden, der seinem Bruder eine Nachricht zukommen ließ.
    Kurze Zeit später standen André und Mars vor der Kirche.
    «Ich hoffe, es ist wichtig», sagte Mars zur Begrüßung. «Es ist gerade unheimlich spannend. Stell dir vor, heute hat man versucht,
     Robespierre zu verhaften!»
    «Was sagst du da?», fragte André verblüfft. «Was heißt versucht?»
    «Heute haben Tallien und ein paar andere sich mit dem Präsidenten des Nationalkonvents geeinigt und Robespierre daran gehindert,
     das Wort zu ergreifen. Das gab vielleicht einen Aufstand! Die Mitglieder der Convention haben erst den Kommandanten der Nationalgarde
     und den Präsidenten des revolutionären Tribunals verhaften lassen, dann Robespierre, dessen Bruder und drei Anhänger. Doch
     die commune von Paris hat die Gegenoffensive ergriffen, Straßen sperren lassen und es den Gefängniswärtern verboten, die Verhafteten
     aufzunehmen! Jetzt sitzen Robespierre und seine Partisanen im Rathaus.»
    «Im Rathaus?», fragte André alarmiert. «Was hat Robespierre vor? Etwa eine gegnerische Regierung gründen?»
    «Es bleibt ihm wohl kaum etwas anderes übrig, würde ich sagen. Entweder es gelingt ihm, sich ein paar Kanonen zu schnappen,
     um sich vor der convention durchzusetzen, oder es sieht schlecht für ihn aus.»
    |251| André schüttelte den Kopf. Politische Umwälzungen bedeuteten Unruhen, und neuerdings hatten sich die Unruhen allzu oft in
     Plünderungen und Massakern ausgewirkt. Marie-Provence ausgerechnet jetzt in einem Gefängnis zu wissen, das vor zwei Jahren
     für seine Gräueltaten zu trauriger Berühmtheit gelangt war, ließ ihn Mars’ Ärmel packen. «Hör zu, Bruder, ich brauche deine
     Hilfe. Jemand, den ich kenne, ist vor drei Tagen verhaftet und nach La Force gebracht worden.»
    «Ein Freund von dir?», fragte Mars.
    «Eine Freundin. Du kennst sie. Sie hat damals mit mir die Blätter verteilt, bei der Fête de l’Être Suprême.»
    «Ach, die schöne Marianne!», rief Mars. Er betrachtete André abschätzend. «Was hat sie denn verbrochen, dass sie eingesperrt
     wurde?»
    «Du weißt genauso gut wie ich, dass es keines besonderen Grundes bedarf, um ins Gefängnis zu gehen – ein Mensch, der dir übelwill,
     reicht völlig aus», erwiderte André. «Du hast doch Freunde im Sicherheitsausschuss. Du musst sie überzeugen, etwas für Marie-Provence
     zu tun. Erzähl ihnen vom Fest, dass sie eine gute Patriotin ist, dass du ihr eigenhändig die dreifarbige Schärpe umgelegt
     hast, was weiß ich!» André hatte immer schneller gesprochen; nun suchte er den Blick seines Bruders. Eindringlich fügte er
     hinzu: «Du musst sie da rausholen, Mars! Ich bitte dich darum!»
    Sein Bruder hatte ihm aufmerksam zugehört. Ein wissender und gleichzeitig staunender Ausdruck erschien auf seinem rundlichen
     Gesicht. «Ich kann es nicht fassen! Du hast dich tatsächlich verliebt!» Er hob die Arme. «Mein Bruder, das

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