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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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geschubst. Der Richter biss derweil herzhaft
     in einen Schlegel. «Name, Alter, Stand?», fragte er kauend.
    «Marie-Provence Duchesne. Neunzehn Jahre alt. Ledig», antwortete sie mit fester Stimme. Sie drückte ihre Knie durch, um die
     Müdigkeit ihrer Beine zu bekämpfen, und bemühte sich, nicht auf das duftende Hühnchen zu starren.
    Es war bereits nach Mittag. Dabei hatte man sie heute Morgen in aller Frühe aus ihrer Zelle geholt. Kaum hatte sie Zeit gehabt,
     sich von Thérésia zu verabschieden, da wurde sie auch schon mitsamt den anderen Gefangenen, denen heute der Prozess gemacht
     werden sollte, in den Wagen gepfercht und zur conciergerie gefahren. Durch den frühen Aufbruch hatte sie das karge Frühstück
     in La Force verpasst, und auch hier schien sich keiner darum zu sorgen, den Vorgeladenen etwas zu essen oder zu trinken zu
     geben. Seit Stunden standen sie sich nun alle hier im Verhandlungssaal die Beine in den Bauch. Vor Marie-Provence’ Augen war
     ein Fall nach dem anderen abgewickelt worden, sie hatte eine Unzahl von haarsträubenden Anklagen und Verurteilungen mitanhören
     müssen – wenn sie noch einen Funken Hoffnung in die Gerechtigkeit dieses Landes gesetzt hatte, so war dieser inzwischen endgültig
     erloschen.
    Verzweifelt war sie indes nicht. Um verzweifelt zu sein, hätte sie Gedanken und Gefühle an sich heranlassen müssen, und das
     hatte sie sich bisher streng untersagt. Gegen die Müdigkeit allerdings konnte sie nichts tun. Sie fühlte sich erschöpfter,
     als sie es jemals in ihrem Leben gewesen war. Doch bevor sie dieser Müdigkeit endgültig nachgab, das schwor sie sich, würde
     sie ihre ganze verbleibende Kraft aufbieten, um diesem verabscheuungswürdigen Menschen, diesem Fouquier-Tinville, die Stirn
     zu bieten.
    Der öffentliche Ankläger beugte sich über ein frisch aufgeschlagenes |255| Blatt. «Marie-Provence Duchesne. Du wirst beschuldigt, antirevolutionäre Reden gehalten zu haben.»
    «Von wem?», fragte Marie-Provence.
    «Vom Bürger Georges Bonardin, Koch und Besitzer des Restaurants namens
Robespierre, Licht der Nation

    Marie-Provence’ Augen weiteten sich. Sie hatte geglaubt, man sei ihrer Identität auf die Spur gekommen. Dass Rosannes Mann
     für ihre Verhaftung verantwortlich war, hatte sie nicht einmal in Erwägung gezogen. Gegen ihren Willen leuchtete ein Schimmer
     Hoffnung in ihr auf. Kraftvoll entgegnete sie: «Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben mit diesem Mann gesprochen,
     und zwar an dem Tag, an dem er seine Frau mit einem Schürhaken fast zu Tode geprügelt hätte. Ich habe damals gedroht, ihn
     anzuzeigen. Seine Anschuldigung ist ein Racheakt!»
    Fouquier-Tinville vertiefte sich erneut in seine Unterlagen. «Georges Bonardin hat Zeugen aufgeführt, die schriftlich Folgendes
     niedergelegt haben: ‹Wir haben die Angeklagte während eines Gesprächs mit der Frau des Restaurant-Besitzers, der Bürgerin
     Rosanne Bonardin, belauscht. Die Angeklagte spottete über den Namen des Restaurants und meinte, der Name
Zur Gotteslästerung
würde dem Restaurant besser stehen. Dabei spielte sie auf die Verwendung des Gebäudes an, das vor der Revolution als Kirche
     diente.›» Der Ankläger sah auf. «Was hast du dazu zu sagen?»
    Marie-Provence wurde heiß. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. «Ich sage, dass es Verleumdungen sind! Frage nach
     mir in der maison de la couche! Frag die Frauen nach meinem Bürgersinn, die mich holen lassen, damit ich ihre Kinder berühre.
     Ich habe als Marianne Drucke der Menschenrechte verteilt! Ich kümmere mich jeden Tag im Waisenhaus um die verlassenen Kinder,
     die die Kraft und die Zukunft der Nation sein werden.» Sie zeigte auf das Publikum. «Frag die Menschen hier, ob sie nicht
     die Marianne der maison de la couche kennen!»
    Auf einmal erhob sich eine Frau auf der Empore. «Sie hat recht! Ich kenne sie!» – «Ich auch!», rief eine andere.
    |256| Zum ersten Mal an diesem Nachmittag blinzelte Fouquier-Tinville. Irritiert schob er seine Brille auf der Nase hoch. Die abgenagten
     Hühnerknochen hüpften im Teller des Richters, als dieser auf seinen Tisch schlug und donnerte: «Ruhe! Ruhe im Saal!» Nachdem
     die Ordnung wiederhergestellt war, warf der Richter einen Blick auf Fouquier-Tinville, dann wandte er sich den Geschworenen
     zu. «Citoyens jurés?», fragte er.
    Marie-Provence presste die feuchten Hände aneinander. «Pass auf, was du sagst, Henri, sonst kannst du heute Nacht auf

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