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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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drehte Croutignac den Rücken zu und trat zum Fenster. Sie war zu
     erschöpft, um weiterzubohren und dafür zu kämpfen, den Grund ihrer Hinrichtung zu erfahren. Sie lehnte ihre pochende Stirn
     an das Fensterglas und starrte hinaus. Bewegt stellte sie fest, dass man von hier aus die Seine sehen konnte. Sie stand ziemlich
     genau gegenüber der Stelle, wo sie und André sich zum letzten Mal gesehen hatten. Gestalten flanierten am anderen Ufer und
     genossen die warme Abendsonne. Marie-Provence’ kalte Fingerspitzen liefen über die Scheibe. Da, dieser hochgewachsene Mann
     mit den dunklen Haaren, war das nicht   …?
    Enttäuscht biss sie sich auf die Unterlippe. Warum hätte er dort auch stehen sollen? Um ihr nahe zu sein, so wie sie |259| sich einmal eingebildet hatte, ihrer Mutter nahe zu sein? Er wusste doch gar nichts von ihrem Schicksal. Und selbst wenn   … Hatte sie ihn nicht von sich gestoßen?
Verschwinde endlich aus meinem Leben! Ich habe dich da nie haben wollen!
    Auf einmal überfiel sie eine unerträgliche Gier nach allem, was für immer versäumt war. Warum nur?, fragte sie sich. Warum
     habe ich ihn ständig weggestoßen, warum habe ich mich nicht von ihm berühren lassen? Ihr Körper spannte sich unter den versäumten
     Liebkosungen, erbebte, während sich in ihrem Mund ein Geschmack nach kalter Asche ausbreitete. «Wie haben Sie meine wahre
     Identität erfahren?», fragte sie, ohne sich umzudrehen.
    «Zufall oder Eingebung, nenn es, wie du willst», antwortete Croutignac. «Zum Grübeln hast du mich gebracht, seit dem ersten
     Mal, als ich dich im Temple gesehen habe. Ich erwähnte ja, glaube ich, schon damals, dass du mir bekannt vorkommst. Dann hat
     mich Jomart letzte Woche sprechen wollen. Er hatte gerade von deiner Verhaftung erfahren und bat mich inständig, mich für
     dich einzusetzen. Ich habe mich daraufhin über deinen Fall erkundigt – und zum ersten Mal deinen Vornamen erfahren.» Er lachte
     auf. «Marie-Provence! Du kannst deinen Eltern für die Einzigartigkeit dieses Namens danken!» Marie-Provence drehte sich ihm
     zu. Er hob die Brauen. «Falls ich noch irgendwelche Zweifel gehabt hätte − dein Anblick im Gerichtssaal vorhin hätte sie zerstreut.
     Die gleichen Kleider, die offenen Haare – die Ähnlichkeit mit deiner Mutter war erstaunlich.»
    Er zog eine Uhr aus seiner Jackentasche und warf einen Blick darauf. «Aber ich sehe, wir müssen uns verabschieden. Die Herren
     da draußen brauchen ihre Zeit für die Vorbereitungen. Den Abend fand ich schon immer eine passende Zeit, um zu sterben. Ich
     hoffe, ich werde einmal ähnliches Glück haben.»
    Marie-Provence hob ruckartig den Kopf. «Den Abend? Aber der Richter sagte doch, erst morgen   …»
    «Das sagte er, ja, aber ich habe etwas umdisponieren lassen. |260| Wer weiß schon, was morgen sein wird?» Nachdenklich fügte er hinzu: «Ich gebe zu, dass deine einflussreichen Freunde mich
     ein wenig zur Eile zwingen. Ich möchte nicht, dass der Herr vom Sicherheitsausschuss, der für dich interveniert hat, mir einen
     Strich durch die Rechnung macht. Jetzt, da Robespierre der Prozess gemacht wird   …»
    «Einflussreiche Freunde?», unterbrach ihn Marie-Provence. Sie hatte keine Ahnung, von welchen Freunden Croutignac da redete.
     Dann überschlugen sich ihre Gedanken. Thérésia hatte also recht behalten! Es war zwar immer noch möglich, dass Robespierre
     während seines Prozesses freigesprochen wurde. Doch sollte der Tyrann stürzen und die Schreckensherrschaft mit ihm, bestand
     die Hoffnung, dass die derzeitigen Gefangenen amnestiert wurden – oder zumindest die Chance eines zweiten Verfahrens bekamen.
    Croutignac hatte sie nicht aus den Augen gelassen. «Mach dir keine Hoffnungen. Ich werde nicht zulassen, dass Robespierres
     Schicksal Einfluss auf meine Pläne nimmt», meinte er.
    «Haben Sie denn keine Angst?», fragte Marie-Provence herausfordernd.
    «Du meinst, wenn Robespierre gerichtet wird, sollte auch ich als sein Helfershelfer um mein Leben bangen? Nein, ich habe es
     verlernt, Angst zu haben. Ich habe nichts zu verlieren. Glaube mir, ich würde es nicht bereuen, auf das Schafott zu steigen
     und dieser Welt den Rücken zuzukehren. Aber zuvor habe ich noch etwas zu erledigen, und deswegen habe ich vorgesorgt: So schnell
     wird mich keiner der einflussreichen Herren verhaften lassen. Dafür weiß ich einfach zu viel über jeden von ihnen.»
    Er trat zur Tür. «Wache! Ist der Henker inzwischen

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