Die Ballonfahrerin des Königs
jeder Gefangenentrupp von den Verwünschungen
und Beleidigungen der Frauen begleitet, die stundenlang auf den Stufen lauerten, wie Raben auf der Suche nach einer verendenden
Beute. Heute allerdings lagen die Stufen verwaist unter der Abendsonne. Offensichtlich hatte niemand mehr mit einer Hinrichtung
gerechnet. Erst jetzt wurde Marie-Provence gewahr, dass sie insgeheim die ganze Zeit gehofft hatte, hier im Hof jemanden vorzufinden,
der ihr nahestand und dem sie Lebewohl sagen konnte. Die Gesichter der Menschen, die sie liebte, tauchten vor ihrem inneren
Auge auf – und sie blinzelte, um sie zu vertreiben.
«Auf was wartest du? Fahr schon los!», herrschte Croutignac den Fahrer an.
Dieser brummte missmutig. Ein Dutzend Gendarmen versammelte sich als Eskorte um das Gefährt. Langsam schwankend setzte sich
der Wagen in Bewegung und reihte sich in den nachlassenden Verkehr der Stadt ein, in Richtung pont au Change.
«Setz dich hin!», befahl Croutignac.
Doch Marie-Provence ignorierte ihn. Sie stellte sich mitten auf die Ladefläche, breitbeinig, um das Holpern des Wagens auszugleichen,
und hielt den Blick auf die Straße gerichtet. Wenn das ihr letzter Weg sein sollte, so wollte sie ihn aufrecht hinter sich
bringen. Nach der Brücke bog der Wagen nach rechts, fuhr über einen Kai bis zur place de Grève und vom Rathaus weiter durch
eine Arkade bis zur place Saint-Gervais. Anschließend entfernte er sich endgültig von der Seine und fuhr gen Osten, über den
Faubourg Saint Antoine.
Die tiefliegende Sonne spendete Marie-Provence’ nackten Schultern und ihrem geschorenen Nacken wohltuende Wärme. Trotzdem
bebte sie wie Espenlaub im Wind. Sie spannte |264| die Muskeln an, um wenigstens das Zähneklappern zu unterdrücken.
Es war einer dieser herrlich milden Sommerabende, der die Menschen vor ihre Türen trieb. Ihre Gesichter waren müde und verhärmt,
doch sie ließen keine Wut erkennen, wenn sie Marie-Provence und ihre Eskorte wahrnahmen. Neugier, auch Mitgefühl schauten
ihr entgegen, doch nicht, wie so oft in den letzten Jahren, Rachsucht oder Grausamkeit. Marie-Provence fragte sich, ob es
diesen Menschen gereicht hatte, vorhin den gefesselten Robespierre vorbeiziehen zu sehen, um ihren Hass in Ketten zu legen.
Ob dieses Land wohl einer neuen, ruhigeren Ära entgegensah? Sie wünschte es sich mit all ihrer Kraft – für ihren Vater, die
Bewohner von Maisons und einen kleinen Jungen, dessen unermessliches Leid sie inzwischen bestens nachempfinden konnte.
Die langsame Fahrt dauerte eine halbe Ewigkeit und konnte doch nicht lange genug währen. Von den nahen Feldern wehte der Duft
von reifendem Korn herüber und verdrängte für einen Augenblick den Gestank der in der Sonnenglut eingedickten Abwässer. Marie-Provence
gab sich ganz ihren Sinneseindrücken hin, versuchte mit aller Kraft, Haltung zu wahren, ihren Gedanken und der Angst, die
in ihr tobte, zu entkommen.
Als der Wagen in die place de la Révolution einbog, die einst von der Bastille beherrscht wurde und auf der noch immer Andenkenverkäufer
Steine und Modelle des zerstörten Bollwerks feilboten, erwartete sie, dass der Wagen den Weg zur place du Trône renversé einschlagen
würde. Der Anblick der Silhouette, die sich plötzlich inmitten einer wogenden Menge gegen den Abendhimmel abhob, traf sie
wie ein Schlag: Die Guillotine war für Robespierres Hinrichtung versetzt worden, die Fahrt war beendet – man hatte sie um
die letzten Minuten ihres Lebens betrogen.
Es war also vollbracht – der Tyrann war tot. Woher bloß hatten all diese Menschen davon gewusst? Mit Grauen entdeckte Marie-Provence
die Spuren der Hinrichtung, während der Wagen sich mit Mühe einen Weg durch die Massen |265| bahnte, die bereits wieder den Weg nach Hause antraten. Ein Gehilfe des Henkers schrubbte die Balken und wischte rotes Spülwasser
über den Rand des Schafotts. Zwei andere zerrten an einem großen Korb, der neben den senkrecht aufragenden Führungsschienen
des Fallbeils stand.
Nicht feindselige, sondern vielmehr erstaunte Gesichter reckten sich Marie-Provence entgegen, als sie langsam an ihnen vorbeizog.
Die Menschen hier hatten ihre Blutration erhalten. Keiner hatte mit einer weiteren Exekution gerechnet.
Die Männer auf dem Schafott ächzten, als sie den Inhalt des Korbes in den zweirädrigen roten Wagen kippten, der neben der
Bühne wartete. Kurz erhaschte Marie-Provence einen Blick auf ein mit einem
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