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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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Persönliches zuzuflüstern. Sie musste aufpassen, sich bremsen, um das Kind und sich
     selber nicht zu gefährden, um nicht das aufs Spiel zu setzen, was sie sich erarbeitet hatte. Denn auch wenn die Haftbedingungen
     des Kindes verbessert waren, der Neunjährige blieb eine Quelle ständiger Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, Hoffnungsträger
     der Royalisten und Garant für politische Sicherheit zugleich. Der Nationalkonvent hütete ihn folglich wie seinen Augapfel.
    Auch André war inzwischen fast vollständig angezogen. Da sie sich regelmäßig trafen, hatte er ein paar Sachen in der rue de
     Gaillon untergebracht, sodass er heute Morgen ein frisches Hemd trug. Er stellte den kleinen Handspiegel auf den Tisch und
     klemmte ihn zwischen der Blumenvase und ihrem Korb ein, um seinen Schal zu binden. Sein forschender Blick traf sie. «Marie,
     es ist nicht meine Art, um den heißen Brei herumzureden. Ich muss es wissen: Was ist mit deinen Plänen? Hast du noch immer
     vor, den kleinen Capet aus dem Gefängnis zu befreien?»
    Jetzt, dachte sie, jetzt ist der Augenblick gekommen. Sie drehte sich zu ihm um. «Man ruft ihn dort jetzt nicht mehr Capet,
     sondern Charles.» Sie lächelte. «Ich sage ja: Es geht ihm besser. Es gibt endlich Hoffnung. Sie beginnen wieder, |291| einen Menschen in ihm zu sehen.» Sie trat näher an ihn heran. «Lass mal, ich helfe dir.» Geschickt wand sie den langen weißen
     Schal mehrere Male um seinen Hals bis unter sein Kinn. Ihr Puls donnerte in ihren Ohren. Die Wahrheit, dachte sie. Nur die
     Wahrheit – alles andere würde er erraten.
    «Weißt du», sagte sie leise, während sie die Enden in der Mitte zu einem kleinen Knoten band, «ich habe es dir noch nicht
     gebeichtet, aber du hattest recht: Ich habe damals nicht wirklich gewusst, auf was ich mich einlasse, welche Gefahren ich
     eingehe. Ich habe am eigenen Leib gespürt, was es heißt, machtlos der Willkür roher Menschen ausgeliefert zu sein.» Ihre Augen
     weiteten sich. «Ich will das nie wieder erleben, André», flüsterte sie.
    Er ergriff ihr Gesicht mit beiden Händen. Seine Daumen strichen über ihre Wangen, als wollten sie alle Sorgen von ihren Zügen
     wischen, und sein Blick war voller Zärtlichkeit. «Ich bin unendlich froh und erleichtert, dass du zu dieser Erkenntnis gekommen
     bist, Marie, und ich dich trotzdem in den Armen halten darf. Du hattest Glück, unendlich viel Glück. Wenn ich denke   …» Er brach ab.
    «Nein, ich hatte dich, André. Und was immer auch geschieht, was auch jemals zwischen uns stehen mag – ich werde nie vergessen,
     dass ich ohne dich nicht mehr wäre.» Sie schwieg, weil ihre Augen feucht wurden, und er zog ihr Gesicht zu sich und küsste
     ihre Wimpern. Sie wusste, dass sie keine dieser Liebkosungen wert war, dennoch ließ sie sie zu, weil sie vielleicht eines
     Tages nichts mehr haben würde als ihre Erinnerung, und auch, weil sie so die Lider schließen konnte, um ihr hässliches, betrügerisches
     Ich zu verbergen.
    Als seine Lippen jedoch nach ihrem Mund suchten, wand sie sich sanft, aber bestimmt aus seinen Armen. «Ich muss los!», entschuldigte
     sie sich mit einem Lächeln.
    «Sehe ich dich heute Abend?», fragte er warm.
    «Heute Abend?», wiederholte sie. Auf einmal fiel ihr ein, was an diesem Abend stattfinden würde, und Nervosität ergriff sie.
     «Nein, es geht leider nicht – ich habe meinem Vater versprochen, dass wir uns sehen.»
    |292| «Du scheinst nicht besonders erfreut darüber.»
    «Das hat nichts mit meinem Vater zu tun, glaub mir. Eher mit dem Ort, an dem wir uns treffen wollen.»
    «Erinnerungen?», fragte er mitfühlend.
    «Das bestimmt auch.» Und sie küsste ihn leicht und flüchtete, ehe ihre Kunst, mit Halbwahrheiten zu jonglieren, sie im Stich
     lassen würde.
    ***
    Am Arm ihres Vaters schlenderte Marie-Provence den quai des Augustins hinunter. Es war kurz vor sechs, und die Luft war trotz
     des nahenden Abends schwül. Marie-Provence schwitzte unter ihrer tiefgezogenen Kapuze und dem langen Umhang, der ihr bis zu
     den Füßen reichte. Ihr Vater hatte es besser: Der alte Strohhut, der sein Gesicht beschattete, war den Temperaturen eher angepasst.
    Trotz ihrer Anspannung vor dem, was sie erwartete, drängten sich Marie-Provence beim Anblick des Flusses alte Bilder auf –
     Szenen ihrer Kindheit, einer schmerzlich vollkommenen Welt, die es für sie nicht mehr gab, während sie für die Menschen hier
     fortbestand. Saßen diese zwei Angler mit

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