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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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«Ich mein, ohne Wäsche. Der ist bedeckt mit Krusten
     von oben bis unten.» Er deutete eine Handbewegung an. «Der kratzt sich nachts immer – bis aufs Blut. Das merkt der Alte gar
     nicht, das macht der im Schlaf. Willst du dich wirklich von so einem anfassen lassen?» Gott bewahre, dachte Marie-Provence
     stumm, während Flamin an seiner Nasenspitze zupfte. «Wir könnten uns doch ein paar nette Stündchen in meiner Kammer machen,
     du und ich   …»
    Marie-Provence trat forsch zur Tür und öffnete sie. «Ich glaube, du gehst jetzt besser.»
    «Nicht umsonst, ich habe Geld gespart! Der Alte müsste es ja nicht erfahren – wir sagen einfach, dass du wieder gegangen bist!»
    Verflixt, war der Kerl hartnäckig! Sie warf einen Blick zum Fenster. Der Himmel sah bedrohlich aus. Die Zeit lief ihr davon   … «Hör zu, du bist ein netter Kerl», sagte Marie-Provence. «Aber ich gebe mich nicht mit Dienstboten ab, verstanden? Es ist
     schlecht fürs Geschäft. Also zisch jetzt ab und hör auf, mir die Ohren vollzujammern!» Ihre gelegentlichen Gespräche mit den
     Damen des Palais-Égalité hatten offensichtlich Früchte getragen. Marie-Provence beglückwünschte sich zu ihrer treffenden Ausdrucksweise,
     während sie mitleidlos Flamins kleinlautem Rückzug beiwohnte.
    Dann schloss sie die Tür hinter dem Diener und drückte ihr Ohr daran, lauschte seinen sich entfernenden Schritten. Sie kannte
     alle Geräusche in diesem Haus   – Flamin ging offensichtlich wieder zur Küche hinunter, um seinen Kummer mit dem kalt gewordenen Essen hinunterzuschlucken.
     Gut so.
    Sie sah zu der kleinen Standuhr auf dem Sekretär. Croutignac, |298| hatte Dorette ihr erzählt, war ein Mann der Gewohnheiten. Seit er nicht mehr in den Temple ging, lebte er zurückgezogener
     und hielt sich viel im Haus auf. Doch abends um halb sechs pflegte er stets eine Spazierfahrt zu unternehmen. Gegen sieben
     kam er dann heim, um zu Abend zu essen. Es blieb ihr etwa eine Dreiviertelstunde.
    Lautlos öffnete sie die Tür und spähte in den Flur. Keine Menschenseele war zu sehen. Sie griff in eine Tasche ihres Kleides
     und pirschte sich zu ihrem früheren Zimmer. Ihre Finger zitterten leicht, als sie den Schlüssel in das Schloss steckte. Jetzt
     kam es darauf an. Dorette hatte einen günstigen Moment abgewartet, um einen Wachsabdruck des Zimmerschlüssels anzufertigen,
     und Poura, der pensionierte Soldat, der eine kleine Schlosserei betrieb, um seine dürftige Rente aufzubessern, hatte versichert,
     das Double sehr sorgfältig angefertigt zu haben. Eine Garantie, dass der Schlüssel auch funktionieren würde, gab es allerdings
     nicht, da sie ihn nicht hatten ausprobieren können.
    Marie-Provence hatte Glück: Der Schlüssel passte. Das gutgeölte Schloss bewegte sich ohne einen Laut, und Marie-Provence trat
     ein. Sie zog die Tür hinter sich zu und sah sich um. Kurz bemächtigte sich ihrer Melancholie.
    Nichts war in ihrem Kinderzimmer verändert worden, wenn man von den zahlreichen Kisten absah, die sich auf dem Boden stapelten.
     Dieselbe Streifentapete, dieselben Möbel, auf denen jetzt allerdings ziemlich viel Staub lag. Sogar ihr altes, geschundenes
     Schaukelpferd stand noch da – selbst als Heranwachsende hatte sie sich nicht von ihm trennen wollen. Und über dem Holzpferd
     hingen drei stümperhaft ausgeführte Ölbilder; ihre Mutter hatte verlangt, sie dort hängen zu lassen. Sie stammten aus einer
     Zeit, in der Angèle de Serdaine sich bemüht hatte, ihrer Tochter die Flausen eines Soldatenlebens aus dem Kopf zu treiben,
     und sie zu Tätigkeiten ermutigte, die besser zum weiblichen Geschlecht passten.
Du hast eine Begabung dafür, Marie! Schau nur, wie gut du uns getroffen hast! Und wie fein die Uniform deines Vaters ausgeschmückt
     ist!
    |299| Marie-Provence lächelte noch im Nachhinein über die übertriebene Begeisterung ihrer Mutter. Sie trat an das Bild heran, auf
     dem ihre kindliche Hand die Familie porträtiert hatte – Vater in Weiß mit Orden auf der Brust, Mutter im Ballkleid, Tochter
     lachend zwischen ihnen   –, und runzelte die Stirn, als sie die feinen Risse sah, die sich über die kleine Leinwand zogen. Jemand hatte das Bild so
     zerkratzt, dass die Gesichter der Menschen nur noch Flecken waren. Sie schluckte. Der Raum war immer verschlossen. Wer, außer
     Croutignac, konnte es schon getan haben?
    Sie fühlte, wie sich ein ungutes Gefühl in ihr ausbreitete, unterdrückte jedoch die Empfindungen, die warnende

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