Die Ballonfahrerin des Königs
«Ich lass euch warme Suppe bringen, damit ihr euch aufwärmt!»
«Das ist eine hervorragende Idee, Rosanne», lächelte André Levallois, der sich hinter den beiden Frauen in den Raum schob.
«Ich liebe deine Suppen!»
«Monsieur Levallois!»
«Duzen wir uns nicht mehr?», fragte er und ließ die Zähne aufblitzen. «Natürlich bin ich mitgekommen! Ich lasse mir doch keine
Gelegenheit entgehen, meine Lebensretterin zu besuchen!»
Rosanne stürmte in die Küche. «Macht es euch gemütlich!», rief sie beschwingt. «Ich bin gleich wieder da!»
«Ich komme mit, um dir zu helfen», sagte Marie-Provence und folgte ihr. In der Küche wies Rosanne Michelle an, sich um die
nach und nach eintrudelnden Gäste zu kümmern.
«Ich freue mich so, dass ihr mich besucht! Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen», strahlte Rosanne.
«Du hast recht, entschuldige. Wir haben viel zu tun, im Moment.»
«Ich habe davon gehört. Ihr wollt einen Ballon im Temple aufsteigen lassen, richtig? Stimmt es, dass André sich von oben herabstürzen
will?»
Marie-Provence nickte, doch sie wechselte schnell das Thema. «Um ehrlich zu sein: Wir sind aus einem anderen Grund hier. Dorette
ist gekündigt worden.»
|335| «Unglaublich!», staunte Rosanne. «Sie hat doch bestimmt zwanzig Jahre am quai des Augustins gearbeitet! Und jetzt wirft man
sie einfach so auf die Straße?»
Marie-Provence ging nicht auf die Frage ein. «Könntest du nicht eine zusätzliche Hilfe gebrauchen?» Sie sah Rosanne erwartungsvoll
an. «Um es kurz zu machen: Dorette braucht dringend Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Sie hat bereits seit Wochen erfolglos
eine neue Stellung gesucht.» Bedauernd erklärte sie: «Ich hätte sie gerne selbst genommen, aber wir bewohnen bereits zu zweit
mein winziges Zimmer in der rue de Gaillon. Wir haben einfach keinen Platz.»
«Aber natürlich, das trifft sich hervorragend. Ich wäre froh, wenn Dorette hier wohnen wollte», rief Rosanne aus. «Weißt du,
manchmal fühle ich mich etwas einsam. Dorette wird eines der beiden Zimmer bekommen, die neben den meinen liegen.»
«Danke!», stieß Marie-Provence erleichtert aus. «Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich fühle mich nämlich nicht ganz unschuldig
an Dorettes Lage … Dass sich für sie alles zum Besten wendet, macht mich überglücklich.»
Rosanne schüttelte den Kopf und sagte sanftmütig: «Ja, du fühlst dich immer für alle verantwortlich, nicht wahr? Aber erzähl
mir lieber von dir, solange wir alleine sind. Du hast gesagt, du und André seid zusammengezogen? Dann hast du ihm also endlich
deine Liebe gestanden.» Sie nahm Marie-Provence’ Hände. «Du hast gut daran getan. André ist ein wunderbarer Mann. Und er vergöttert
dich. Es wird ihm unendlich viel bedeuten, dass du dich ihm geöffnet hast.»
Marie-Provence entzog ihr die Hände mit einem Ruck. «Ach, Rosanne, das Leben ist nicht so einfach, wie du es darstellst!»
Rosanne musterte die Freundin aufmerksam. «Was heißt das? Willst du mir damit etwa sagen, dass …?»
«Es ist besser, wenn ich André keine Versprechungen mache, die ich hinterher doch wieder brechen würde», antwortete Marie-Provence.
«Ich verstehe dich nicht», gab Rosanne zu. «Dein Vater ist |336| weg, du brauchst auf nichts mehr Rücksicht zu nehmen, und dennoch gefährdest du durch dein Verhalten das Kostbarste, was du
besitzt! Warum?» Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihr auf. «Ist es ein anderer Mann? Diese Thérésia Cabarrus, die du seit
ein paar Monaten frequentierst – die ganze Stadt klatscht über ihren lockeren Lebenswandel. O Marie, lass dich nicht von ihr
zu etwas verleiten, das du später …»
«Unsinn!», unterbrach Marie-Provence sie im Ton tiefster Entrüstung. «Für wen hältst du mich? Ich liebe André, nie würde ich
ihn betrügen!» Dann sagte sie ernst: «Rosanne, wenn es André einmal schlechtgehen sollte, würdest du dich um ihn kümmern?»
Rosanne musste schlucken. Tausend Fragen drängten sich ihr auf die Lippen. Warum diese seltsame Frage? Was hatte Marie-Provence
vor? Sie wischte diese Gedanken beiseite und zwang sich, aufzulachen. «Aber natürlich würde ich das!», meinte sie fröhlich.
«Dafür sind wir Schutzengel schließlich da, oder?»
|337| 11. KAPITEL
Nivôse – Prairial, Jahr III
Januar – Mai 1795
Im Hof der alten Schmiede herrschte reger Betrieb. Ein Wagen, dem ein gefleckter Ochse vorgespannt war, besetzte einen
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