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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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gibt es Völker, die glauben, das Leben eines Menschen gehöre
     demjenigen, der es einst gerettet hat.» Er verengte die Augen. «Damit wir uns nicht missverstehen: Ich gehöre diesem Glauben
     nicht an.» Er nickte André noch einmal zum Abschied zu, drehte sich um und ging.
    Marie-Provence sah ihm nach, bis seine Silhouette hinter den Gebäuden verschwand, und ihre Lippen formten lautlos ein Gebet.
    «Marie   …»
    Sie drehte sich um. André stand noch immer an derselben Stelle, im Tor der Schmiede.
    «Tu das nie wieder.» Sein Adamsapfel bewegte sich. «Lauf nie mehr weg vor mir.»
    Sie fühlte, wie alles zu viel für sie wurde. Ihr Blickfeld verengte sich. «Du verstehst das nicht», sagte sie schwach. «Und
     ich bin unfähig, es dir zu erklären.»
    Er kam langsam näher, als habe er Angst, sie zu verschrecken, und schloss sie vorsichtig in die Arme. Sein Herz pochte wild
     in seiner Brust. «Ich liebe dich», sagte er.
    «Manchmal bleibt einem nichts als die Flucht», flüsterte Marie-Provence. «Weil es feiger wäre, zu bleiben.»
    «Du sollst fliegen, Marie», sagte er. «Einem Vogel gleich. Frei und ungebunden. Und aus eigener Kraft.»
    Sie schluchzte auf. Er sagte nichts und ließ sie weinen, während er den Druck seiner Arme verstärkte.
    ***
    Während Rosanne ein sauberes Laken über die Matratze des Bettes spannte, summte sie gedankenverloren die Marseillaise − das
     Lied, das jeder in den Pariser Gassen trällerte, seit es ein paar Soldaten aus dem Süden eingeführt hatten. Sie schüttelte
     Decke und Kopfkissen auf, raffte dann die Schmutzwäsche zusammen und warf einen letzten Blick in den Raum. Alles war ordentlich,
     bereit für den nächsten Gast. Sie verließ das Zimmer und durchquerte den winzigen |333| dunklen Flur. Ihre Gedanken führten sie in den zweiten Stock, wo sie zwei Zimmer bewohnte. Zwei andere standen hingegen noch
     leer. Ob sie diese Zimmer zusätzlich zu den anderen vier in der ersten Etage vermieten sollte?
    An Kundschaft mangelte es nicht. Der Hafen Saint Paul lag nur wenige Schritte entfernt von der Herberge. Etliche Reisende,
     die eine Fahrt auf einem der Seine-Schiffe gebucht hatten, die in die Provinz ablegten, waren gezwungen, eine Nacht lang anzulegen,
     und suchten sich die nächstbeste Unterkunft. Und da Rosanne das Haus sauber hielt und schmackhaftes Essen bot, wurde sie gerne
     weiterempfohlen. Doch zwei weitere Zimmer ließen sich nicht bewirtschaften, ohne eine zweite Kraft einzustellen. Deren Gehalt
     würde einen guten Teil des Gewinns auffressen.
    Rosanne legte die Laken in eine Ecke. Die Wäscherin würde sie nachher abholen. Es würde heißen, das Glück auf die Probe zu
     stellen, das ihr seit der endgültigen Trennung von Georges so treu zur Seite stand. Und sie hatte viel Glück gehabt. Als sie
     sich nach dem schrecklichen Vorfall, der Marie-Provence fast das Leben gekostet hätte, auf die Suche nach einem neuen Leben
     gemacht hatte, war sie zufällig auf dieses Haus am quai des Célestins gestoßen. Es war heruntergekommen gewesen und für wenig
     Geld zu pachten. Rosanne hatte diesen Herbst viel Mühe und Zeit in das Haus gesteckt. Aber seit es draußen fror, warf es einen
     guten Gewinn ab, sodass sie ohne Sorgen Michelle hatte anstellen können, um ihr zu helfen.
    Rosanne stellte sich an das Fenster des Gastraumes. Bleifäden auf den dicken Scheiben teilten das turbulente Treiben des port
     Saint Paul in handtellergroße Quadrate auf. Sie verfolgte, wie ein breiter Kahn am Anleger festgemacht wurde. Dickvermummte
     Reisende hauchten auf ihre eisigen Finger und suchten ihr Gepäck zusammen.
    «Michelle!», rief Rosanne. «Mach Feuer im Gastraum! Es kommen Gäste!» Sie seufzte lautlos. Wenn sie ehrlich zu sich war, dann
     wollte sie einfach mit keinem Fremden Tür an Tür wohnen. Sie raffte ihre Röcke und machte sich auf in |334| die Küche, um das Essen aufzuwärmen. In dem Augenblick ging die Tür auf.
    «Rosanne?»
    «Marie-Provence!», stieß Rosanne überrascht aus.
    «Schau mal, wen ich dir mitgebracht habe!», lachte Marie-Provence und wies hinter sich.
    «Dorette!» Rosanne reichte der Kusine ihrer Mutter beide Hände. «Wie schön, dich wiederzusehen! Weißt du, dass Mutter und
     die Vezons gut in England angekommen sind? Ich habe einen Brief bekommen!» Sie hielt inne, als sie den Ausdruck auf dem Gesicht
     der Älteren sah. «Aber was rede ich da? Kommt erst einmal rein!», lud sie die beiden Frauen ein und wies in die Gaststube.
    

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