Die Ballonfahrerin des Königs
Wirkung, die diese Tat bekommen würde, denk an die Anziehungskraft einer solchen Premiere
für das Publikum!»
Sein Gesichtsausdruck wurde abweisend.
Ihre Angst, er könne ihr den Wunsch ausschlagen, von dem das ganze Gelingen des Planes abhing, schlug in Wut um. Sie ballte
die Hände zu Fäusten. «Wie kannst du nur?», |330| warf sie ihm kopfschüttelnd entgegen. «Erst verschenkst du die Fabrik, dann machst du mir wieder Hoffnungen, und jetzt schiebst
du mich ab? Was soll ich deiner Meinung nach davon halten? Dass du die ganze Zeit nur an dich denkst? Ist es das?
Dein
Widerwille, dich mit Tapeten zu befassen,
dein
Sprung –
dein
Ruhm?»
«Das ist es nicht, und das weißt du genau!», fuhr er sie an. Er machte ein paar ziellose Schritte. Als er mit gekreuzten Armen
stehen blieb, sah er sie nicht an. «Das Abspringen mit einem Fallschirm wurde noch niemals mit einem Menschen durchgeführt.
Mit Tieren, ja, und die Ergebnisse waren ermutigend, aber …» Er zögerte und sagte dann barsch: «Es gibt keine Garantie für das Gelingen, verstehst du? Und falls der Sprung doch nicht … Falls etwas übersehen wurde …» Er raufte sich die Haare. «Verflixt, Marie, ich will nicht, dass du dann da oben festsitzt und das alles mitansehen musst!»
Ihre Augen weiteten sich, als sie verstand. Ihr Puls hämmerte in den Ohren. Auf einmal war ihr, als habe André ihr Genick
gepackt, um sie zu zwingen, hinabzuschauen, in eine schreckliche, unheimliche Tiefe – in die Abgründe ihrer verwerflichen
Seele, die nur Verrat sah, weil sie selbst nichts als lügen konnte. Sie schlug die Hände vors Gesicht und stieß einen erstickten
Laut aus, drehte sich um und rannte davon.
«Marie? Marie!»
Sie floh kopflos aus der Schmiede, zum offenstehenden Tor – wo sie voller Wucht mit jemandem zusammenprallte.
«Liebes? Was ist passiert?»
Es war ihr Vater, der Mann, den sie jetzt am wenigsten sehen wollte; der sie nun festhielt, sie ins Sonnenlicht zerrte und
ihre Hände gewaltsam vom Gesicht wegzog.
«Du weinst? Was ist passiert?» Der Tonfall ihres Vaters wurde scharf. «War er das? Hat er dir etwas angetan, dieser …»
«Nein, es ist nichts!», schrie Marie-Provence. «Ein dummer Streit.» Sie versuchte mit aller Gewalt, sich wieder zu fassen,
und fuhr ihn an: «Was willst du überhaupt hier? Bist du verrückt, in den Temple zu kommen?» Sie merkte, wie |331| ihre Reaktion den Vater verletzte, und ihre Verachtung für sich selber wuchs. Verstört machte sie sich von ihm frei.
«Monsieur de Serdaine.» André war ihr bis zum Tor gefolgt und begrüßte ihren Vater verhalten.
Dieser achtete nicht auf ihn. «Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.»
Erst jetzt fiel Marie-Provence auf, dass ihr Vater ein Bündel bei sich trug – dasselbe, das er bei seiner Ankunft in Maisons
auf dem alten Küchentisch ausgebreitet hatte. Sie biss sich auf die Lippen. «Jetzt?»
«Ja, es ist Zeit.»
Marie-Provence holte tief Luft, nickte wortlos. Der Kreis in Corteys Keller hatte Guy de Serdaine auserkoren, um für Charles’
Weiterreise zu sorgen, für die Zeit nach der Flucht aus Paris. Nach Osten, so hatte ihr Vater ihr erklärt, würden sie das
Kind führen – in den Schutz der Armee des Prinzen de Condé. Guy de Serdaine, der bereits zweimal die Grenzen überquert und
gute Kontakte zu Offizieren in der Armee der Royalisten hatte, eignete sich am besten für diese Aufgabe, während er hier in
Paris ständig Gefahr lief, erkannt und verhaftet zu werden. Sie würden sich erst nach ihrer Landung und der hoffentlich geglückten
Flucht wiedersehen.
Das alles wusste Marie-Provence. Was ihr Vater ihr allerdings verschwiegen hatte, war der Zeitpunkt seiner Abreise. Doch als
sie in sein wettergegerbtes Gesicht sah, ahnte sie, weshalb. Auch ihm fiel der Abschied nicht leicht. Sie lächelten sich tapfer
an.
Dann zog Guy de Serdaine sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. «Gott schütze dich», raunte er. «Wir werden
es schaffen!» Er umarmte sie so fest, dass ihr der Atem stockte, und sie nickte stumm.
Bevor er ging, wandte er sich noch einmal André zu. «Wir haben uns lange nicht gesehen.»
André nickte und sagte ernst: «Seit ich das Glück hatte, Ihnen Ihre Tochter zurückzubringen, ja.»
Guy de Serdaine betrachtete sein Gegenüber mit ausdrucksloser Miene. «Ich war, wie Sie vielleicht wissen, einige |332| Zeit in Amerika, Monsieur Levallois», sagte er langsam. «Dort
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