Die Ballonfahrerin des Königs
nichts gegessen.» Rosanne schob ihm Besteck hin. Dann nahm sie
das siedende Wasser vom Feuer, um es neben dem Spülbecken abzustellen. Sie schob die Ärmel hoch, um mit dem Abwasch zu beginnen.
«Verflixt, was soll ich damit?» Georges schob den Teller so brüsk von sich, dass dieser über die Tischplatte holperte. Ein
paar Bohnen, die Rosanne so hübsch angeordnet hatte, fielen auf den Boden. Georges fluchte und leckte sich Bratensoße vom
Daumen. «Ich will das nicht essen. Ich will es verkaufen!»
Er sprang auf, und Rosanne eilte hinzu, um die Bohnen aufzulesen, ehe er sie beim Hin- und Herlaufen auf den breiten Steinfliesen
zertrat.
«Wie viele Gäste hatten wir heute? Na, wie viele, sag schon!», fauchte Georges.
Rosanne hob die letzte Bohne auf. «Fünf.»
«Fünf, großartig!»
«Aber das ist doch gar nicht schlecht, Georges! Gestern hatten wir nur drei, und es gab Tage, wo der Gastraum ganz leer blieb.»
|57| «Sag mal, begreifst du das nicht, oder willst du es nicht verstehen?» Georges stellte sich vor Rosanne. Er war ein großer,
kräftiger Mann. Früher, in den Anfängen ihrer Ehe, vor acht Jahren, hatte sie es geliebt, wenn er sich so vor ihr aufbaute,
da war sie sich zart und beschützt vorgekommen. «Begreifst du nicht, dass wir so nicht mehr lange durchhalten werden? Wie
sollen wir von fünf verkauften Essen am Tag leben?»
Rosanne drehte sich weg und warf die Bohnen in einen Eimer. Sie würde sie nachher ihrem Schwein zum Fressen geben, das hinter
der Kirche in einem Verschlag hauste. «Georges, die Zeiten sind schlecht. Wir haben zu einer ungünstigen Zeit eröffnet. Die
Menschen …»
«Ungünstig? Dieses Restaurant hier ist eine einmalige Gelegenheit gewesen! Wir haben unsere Chance ergriffen, und wir haben
gut daran getan. Hast du die Gräfin de Luth vergessen, und wie oft wir davon geträumt haben, sie zum Kuckuck zu wünschen und
etwas Eigenes aufzubauen? Dass du dich ständig bei mir ausgeweint hast, wenn die boshafte Ziege dich wieder einmal aus heiterem
Himmel geohrfeigt hat? Und dass du mich mehr als einmal davor bewahrt hast, ihr die Suppe ins Gesicht zu schütten, weil sie
wie so oft daran herumgemeckert hat?»
Rosanne lächelte schwach. Nein, nichts davon hatte sie vergessen. Damals hatte sie nicht die nötige Souveränität besessen,
um über die Schikanen ihrer Herrin hinwegzusehen, und hatte über ihr Unglück geschluchzt. Aber damals hatte es auch die langen
Stunden gegeben, in denen sie und Georges in der Geborgenheit ihrer Decken Zukunftspläne geschmiedet hatten. Sie hatte mit
Georges gelacht und geweint, hatte sich tagsüber nach ihm gesehnt, obwohl sie nur durch ein Stockwerk voneinander getrennt
waren, und während ihrer wenigen freien Stunden hatten sie das kleine Theater um die Ecke besucht oder waren in einer schäbigen
guinguette tanzen gegangen. Seltsam, dachte Rosanne. Ob das Glück deshalb so unfassbar ist, weil es einem stets erst bewusst
wird, wenn es vergangen ist? Ob sie in zehn Jahren |58| auf die heutige Zeit zurückblicken und sie als glücklich einschätzen würde?
Ein bitterer Geschmack lag Rosanne auf der Zunge. Sie griff nach dem verschmähten Teller und schleuderte das Essen den Bohnen
hinterher in den Eimer. Nein. Nein, das würde sie ganz bestimmt nicht tun.
«Warum wirfst du das weg? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?»
Rosanne griff sich an den Kopf. Erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. «Es tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht …»
«Sag mal, weißt du überhaupt, wie teuer so ein Braten ist? Wie viele Assignate wir für ein Stück Fleisch hinblättern müssen?»
Rosanne presste die Lippen aufeinander. Natürlich wusste sie das. Sie erinnerte sich noch gut an das dicke Bündel, das sie
gestern dem Fleischer in die blutverschmierte Hand gedrückt hatte. Sie stellte den Teller zurück. Sie war müde. Diese Assignate …! Irgendwann hatte Rosanne angefangen, das Papiergeld zu hassen, das für sie immer mehr zum Symbol ihres geplatzten Traumes
wurde.
Als zu Beginn der Revolution die Güter der Kirche zugunsten der Nation beschlagnahmt worden waren, hatte der Staat die Assignate
ins Leben gerufen. Das Papiergeld war ein Pfand auf den Wert der riesigen Ländereien, Klöster und Kirchen, die dem Staat jetzt
gehörten. Es sollte dazu dienen, die hohen Schulden des Landes zu begleichen. Doch schon bald wurden die Assignate nicht nur
verwendet, um die
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