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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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|463| wenn ein Pflegekind gedeiht. Auch wenn es nur zum Teil in der Macht der Pflegemutter liegt, ob es überlebt.» Théroigne scharrte
     mit den Holzschuhen. «Was ist mit dir? Wie bist du an den Jungen auf dem Dachboden gekommen?»
    Marie-Provence stellte die Suppenschale außer Césars Reichweite. Bisher hatte die Amme noch keine Fragen gestellt über den
     seltsamen Jungen und warum sie ihn als Mädchen verkleidet hatte. «Nicht viel anders als du an César. Durch docteur Jomart.
     Auch Charles ist ein Waisenkind.»
    «Ganz schön groß für ein Ziehkind. In dem Alter werden sie sonst nicht mehr genommen. Der Kleine hat riesiges Glück.» Sie
     betrachtete Marie-Provence. «Falls dich der Rat einer alten Amme interessiert: Du solltest aufhören, ihn zu siezen, wenn ihr
     nicht auffallen wollt.»
    Marie-Provence sah zu Boden. «Wo sind deine anderen Kinder?», fragte sie. «Du lebst doch nicht alleine in diesem Haus?»
    «Zurzeit schon. Ich hab noch zwei große Söhne, aber die sind weg. Als sie achtzehn und neunzehn waren, wurden beide rekrutiert.
     Doch kaum hatten sie zwei Schritte aus Auray gemacht, hat sie solche Sehnsucht gepackt, dass sie in die Büsche gesprungen
     sind.»
    «Sie sind desertiert?»
    Théroigne zuckte die Schultern. «Mich haben sie vorher nicht gefragt, sonst hätte ich ihnen schon noch klargemacht, was für
     ein ungemütliches Leben sie als Gesetzlose erwartet. Na ja, und als Ersatz für die beiden Jungen haben die Blauen ihren Vater
     mitgenommen. Seitdem habe ich Michel nicht wiedergesehen. Ab und zu lässt er mir einen Brief schreiben, damit ich weiß, dass
     er noch lebt. Und dann gibt es da noch Anne-Marie. Die ist elf und gescheit wie ein Pfarrer. Ich hab sie nach Rennes geschickt,
     zu meiner Schwester in die Lehre. Alle anderen sind gestorben. Drei Stück, zwei Jungen, ein Mädchen.» Sie winkte. «Komm mit.»
    Sie schnappte sich César, klemmte ihn trotz Protestgeschreis auf die Hüfte und führte Marie-Provence in eine abseits gelegene
     Ecke des Gartens. Junge, schlanke Birkenstämme |464| wiegten sich im lauen Sommerwind über einer wilden Blumenwiese, ihr feines Laubwerk streute ein Muster aus tanzenden Licht-
     und Schattentalern über eine verwitterte Holzbank. Ein leises Plätschern verriet, dass hinter der bemoosten Grenzmauer ein
     Bach verlief. «Jedes Mal, wenn eines meiner Kinder starb, hab ich eine Birke gepflanzt.»
    Marie-Provence ließ sich auf der Bank nieder; sie genoss die Stille und Geborgenheit, die von dem Platz ausgingen. «Es sind
     fünf Bäume», sagte sie leise.
    Théroigne brachte die schwere Bank zum Beben, als sie neben Marie-Provence Platz nahm. Sie nickte. «Nicht alle meine Ziehkinder
     waren so glücklich wie César.»
    Sie schwiegen einen Augenblick. Marie-Provence schloss die Augen.
    «Wenn du willst, werde ich für Charles auch einen pflanzen», sagte Théroigne.
    Ein Ruck ging durch Marie-Provence. Sie starrte die Frau an. «Das wird nicht nötig sein.»
    Théroigne bedachte sie mit einem langen Blick, blieb aber stumm.
    «Charles ist erkältet», sagte Marie-Provence. «Es war meine Schuld, wir haben zu lange am Strand gesessen.»
    «Das ist keine Erkältung. Er hat diese Schwellungen. Eine am Handgelenk, eine in der Kniekehle. Sie tun ihm weh. Und sein
     Bauch ist hart wie Stein.»
    Marie-Provence sprang auf. «Das will nichts bedeuten. Das bekommen wir wieder hin. Jetzt, wo das Fieber gesunken ist   …» Marie-Provence knetete ihre Hände, machte ein paar Schritte. «Er muss nur etwas essen.» Sie verstummte. Der Vogel. Sie
     musste diesen Vogel herbeischaffen! Und sie musste unbedingt wieder zu ihrem Vater stoßen. Sie blieb stehen. «Siehst du deine
     Söhne noch manchmal?», fragte sie.
    «Ich weiß, wie ich sie erreichen kann. Manchmal besuchen sie mich auch und bleiben über Nacht. Sie haben im Garten ein Versteck
     angelegt, in der Art, wie die Chouans sie im Wald haben. Die Soldaten waren schon ein paarmal bei mir und haben alles durchsucht,
     ohne sie zu finden. Aber das |465| Versteck ist sehr klein. Länger als ein paar Stunden halten meine Burschen es dort nie aus.»
    «Könnten deine Söhne eine Nachricht von mir weiterleiten?»
    Théroigne beäugte sie argwöhnisch. «An wen soll die gehen?»
    Marie-Provence sah sie fest an. «Ich habe da einen Freund. Man nennt ihn Gédéon. Manchmal auch Georges.»
    Théroigne schnaufte. «Das sollte sich arrangieren lassen.»
    ***
    Marie-Provence hielt den Blick gesenkt, als sie durch

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