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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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so mageres Kind nur so schwer sein?
    Uniformen tauchten vor ihr auf. Schnell schlüpfte sie in einen Hauseingang. Sie drehte der Gasse den Rücken zu, beschäftigte
     sich mit der Tür und tat so, als sei sie im Begriff einzutreten. Die Soldaten schenkten ihr nur einen kurzen Blick. Marie-Provence
     wollte gerade erleichtert ausatmen, als die Haustür plötzlich aufschwenkte und ein massiger Umriss erschien.
    «Was ist hier los? Was hast du an meiner Tür zu schaffen?», herrschte sie eine ungehaltene Stimme an.
    Marie-Provence fuhr zurück – und stieß einen Schrei aus. «Théroigne?»
    Die Amme aus der maison de la couche zog die Stirn kraus und spähte unter Marie-Provence’ Hut. Plötzlich erhellte sich ihr
     breites Gesicht. «Bei allen Heiligen der Bretagne! Wenn das nicht die kleine Duchesne ist!», rief sie ungläubig. |461| «Was machst du denn in Auray? Und in so einem Aufzug?»
    Aus den Augenwinkeln bemerkte Marie-Provence, dass einer der Soldaten sich zu ihnen umdrehte, und senkte ihre Stimme.
    «Théroigne, ich flehe dich an um die Liebe Gottes! Lass mich ein!», drängte sie.
    Die Amme warf einen Blick auf die Soldaten, einen zweiten auf das Kind in Marie-Provence’ Armen. «Komm!», sagte sie.
     
    «Wo sind wir?»
    Marie-Provence beugte sich zu Charles hinunter. Seine Stirn war kühler, sein Blick klar. «Es geht Ihnen besser», sagte sie
     erfreut. Sie drehte sich um und strahlte Théroigne an.
    «Ich gehe etwas Bouillon holen», erklärte diese. «Komm, César, du kannst mir helfen.» Das einjährige Kind folgte ihr mit unsicheren
     Schritten.
    «Diese Frau ist eine Freundin. Wir sind umgezogen, während Sie schliefen.»
    Charles betrachtete das Zimmer, in dem er lag. Théroignes Haus war klein und einfach, doch das schräge Dachzimmer, das ihnen
     zugewiesen worden war, sah auf einen riesigen Garten, und es war ruhig. Hier war kaum etwas zu hören von den Truppenbewegungen
     in der Stadt – beinahe konnte man sich hier in Sicherheit wähnen. Marie-Provence hoffte, dass sie Charles den Ernst der Lage
     verheimlichen konnte, bis sie Mittel und Wege gefunden hätte, zu ihrem Vater aufzuschließen.
    «Wo ist mein Vogel?»
    Charles’ leise Stimme unterbrach ihr Grübeln. Sie nahm seine Hand. «Es tut mir leid, Charles. Ich konnte ihn gestern nicht
     mitnehmen. Doch ich bin sicher, im Haus des Notars wird es jemanden geben, der sich um ihn kümmert. Es wird ihm an nichts
     fehlen.» Sie erschrak, als die Augen des Kindes sich mit Tränen füllten. «Wir werden Ihnen einen neuen |462| Vogel kaufen, sobald wir dazu in der Lage sind», versprach Marie-Provence.
    «So, und jetzt wird gegessen.» Théroigne betrat mit festen Schritten das Zimmer. Der Boden dröhnte unter ihrem Gewicht. Sie
     zog den Kopf ein, um sich nicht an den dicken Balken zu stoßen, und reichte Marie-Provence ein Schälchen.
    Charles presste die Lippen aufeinander und drehte den Kopf weg.
    «Charles, bitte, Sie müssen etwas zu sich nehmen», drängte Marie-Provence. Als das Kind nicht antwortete, stellte sie das
     Schälchen auf den Boden. Sie betrachtete es eine Weile. Als es sich nicht rührte, strich sie leicht über seine Schulter. «Erinnern
     Sie sich noch an das Meer, die Pfützen am Strand? Den Wind und das Kreischen der Möwen? Das alles und noch viel mehr wartet
     auf Sie. Sie und ich haben noch so viele Wunder zu entdecken! Doch das geht nur, wenn Sie stark genug sind.»
    Der Junge starrte stumm an die Wand. Erst nach geraumer Weile vernahm sie seine Stimme, schwach und trotzig zugleich: «Ich
     will nicht irgendeinen Vogel. Ich will diesen einen. Ich habe ihm etwas versprochen.» Nach einer Pause fuhr er fort: «Am Anfang,
     als ich noch nicht allein in meiner Zelle war, habe ich einmal meinen Wärter gefragt, warum sie Papa umgebracht haben. Der
     Mann hat geantwortet, Papa hätte seine Versprechen gebrochen.» Charles warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu. «Ich
     will meine Versprechen halten, Marie. Verstehst du?»
    Sie schluckte, strich über seine Haare und nickte.
    Etwas später, als Charles eingeschlafen war, saßen Théroigne und Marie-Provence auf den Stufen, die in den Garten führten.
     Zwischen ihnen stand die kalt gewordene Bouillon. In einigen Schritten Entfernung hockte César und rupfte mit großem Ernst
     Grashalme aus.
    «Wie groß er geworden ist», staunte Marie-Provence. «Docteur Jomart würde sich freuen, ihn so zu sehen.»
    «Das glaube ich auch. Es ist immer zutiefst befriedigend,

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