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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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entdeckte einen
     Leiterwagen, der direkt vor dem Gefängnis hielt.
    «Aber wie untersuchen Sie ihn?», hakte sie nach.
    Er lächelte bitter. «Ich untersuche ihn nicht. Ich gehe hin und bezeuge, dass er noch lebt, indem ich wie Sie heute durch
     das Gitter sehe. Das ist alles.»
    «Aber er ist krank!», rief Marie-Provence aus.
    «Was Sie gesehen haben, sind seelische Schäden.»
    «Aber   …»
    Jomart drehte den Kopf und sah sie an. «Es ist nichts, was ich kurieren kann. Oder besser gesagt, nichts, was man mich kurieren
     ließe. Was der Junge braucht, sind menschliche Zuwendung, Sonnenlicht und frische Luft, Sauberkeit, gesundes Essen.»
    «Ja, verflixt, dann tun Sie etwas, damit er das bekommt! Sie sind doch Arzt! Wie können Sie so etwas zulassen? Wie können
     Sie untätig einem Kind beim Sterben zuschauen?»
    |94| «Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?», brauste Jomart auf. «Soll ich eine Säge in meiner Arzttasche schmuggeln und nächstes
     Mal vor den Augen der Messieurs der commune die Tür der Zelle in Stücke zerlegen?»
    Draußen öffnete sich das Tor des ehemaligen Klosters. Soldaten erschienen und führten eine Handvoll gefesselter, verwahrloster
     Männer und Frauen ab.
    Marie-Provence warf sich keuchend auf die Bank zurück. «Lassen Sie weiterfahren!», schnappte sie.
    Jomart warf einen Blick nach draußen und wurde bleich. «Es geht nicht. Der Wagen vor uns blockiert den Weg.»
    «Das interessiert mich nicht! Lassen Sie weiterfahren, habe ich gesagt!» Marie-Provence’ Puls beschleunigte sich. Ein eiserner
     Ring zog sich um ihre Brust zusammen, zwang sie, schnell und flach zu atmen, schnell, immer schneller.
    «Mademoiselle, beruhigen Sie sich. Sie sehen doch   …»
    Die Gefesselten bestiegen nun den Wagen. Die Uniformierten hatten rechts und links von ihnen eine Reihe gebildet und trieben
     sie an.
    «Ich muss hier raus!», schrie Marie-Provence. Sie rüttelte am Griff und riss den Schlag auf.
    «Sind Sie verrückt geworden? Bleiben Sie hier!» Jomart packte sie an den Hüften und zerrte sie in die Kutsche zurück.
    «Was ist hier los?» Ein Kopf, gekrönt von einem schwarzen Zweispitz mit blauweißroter Kokarde erschien in der geöffneten Tür.
    «Nichts, Soldat!», antwortete Jomart. «Alles in Ordnung. Der Bürgerin hier geht es nicht gut. Wenn du also deinen Männern
     befehlen könntest, den Weg freizumachen, wäre ich dir dankbar.»
    Der Uniformierte verengte die Augen. Er sah sich eingehend in dem Wagen um. «Papiere!», blaffte er.
    Marie-Provence starrte den Mann in den roten Hosen und der dunkelblauen Uniformjacke, auf dem das weiße Kreuz der breiten
     Waffengurte prangte, mit offenem Mund an. Sie hechelte. Ihr Geist war gefangen in einem grauen Nebel und |95| versuchte verzweifelt, dem Grauen zu entkommen, das aus den Tiefen ihrer Erinnerung erwacht war.
    «Du bist Arzt im Waisenheim?», fragte der Soldat nach einem Blick auf Jomarts Ausweis.
    Der Arzt nickte, während er hastig einen seiner Lederhandschuhe hervorzog, dessen Öffnung er Marie-Provence um Mund und Nase
     drückte. «Atmen Sie hier hinein!», befahl er.
    «Was hat sie denn?»
    «Das weiß ich noch nicht», erklärte Jomart kurz angebunden. «Sie ist meine Assistentin. Hoffentlich hat sie sich bei einem
     Hausbesuch nicht diese Seuche geholt, die vor zwei Tagen eine ganze Familie dahingerafft hat. Hoch ansteckend, zerfrisst die
     Lungen innerhalb von ein paar Stunden.» Er fingerte ein Papier aus seiner Jacke. «Aber Sie wollten doch ihren Ausweis sehen   …»
    Der Uniformierte wich blitzartig zurück. «Nicht nötig. Schon gut.» Er sprang aus dem Wagen, warf den Schlag zu, zog ein Tuch
     hervor und presste es sich vors Gesicht. «Fahr weiter, Kutscher, schnell! Nun mach schon!» Die restlichen Soldaten machten
     Platz. Ein Peitschenschlag knallte, und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung.
    Jomart beugte sich über Marie-Provence. «Wie geht es Ihnen?»
    Kaum hatten sie den Leiterwagen überholt, lockerte sich der eiserne Ring um Marie-Provence’ Brust. Sie atmete wieder ruhiger.
     Nach einer Weile ließ sie den Handschuh sinken. «Besser», sagte sie erschöpft.
    «Wie schön», gab der Arzt unwirsch zurück. Er beugte sich ein letztes Mal aus dem Fenster, um zurückzuspähen, ließ sich dann
     wieder auf die Bank sinken. «Par tous les diables, Mademoiselle, Ihr Verhalten hätte uns Kopf und Kragen kosten können!»,
     schimpfte er.
    «Ich weiß. Es tut mir leid.» Marie-Provence wischte sich

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