Die Ballonfahrerin des Königs
Marie-Provence’
Füßen fallen ließ. Auch Clément war noch am Leben, wie man aus dem Würgen schließen konnte, das aus dem Dunkeln drang, ehe
seine massige Gestalt ebenfalls auf den Stufen strandete.
Wortlos starrten sie in das Loch unter ihnen. Der Wasserspiegel stieg noch immer, langsam, Stufe für Stufe. Verwirbelungen
an der schwarzen Oberfläche zeigten, dass der Strom das Ende des Flures erreicht hatte und nun zurückfloss. Der abbé d’If
bekreuzigte sich schlotternd. Da ertönte ein dumpfes, heftiges Geräusch, der bewegte Wasserspiegel zu ihren Füßen schwappte
hoch und runter.
«Was hat das denn schon wieder zu bedeuten?», fragte Clément heiser.
«Ich weiß es nicht. Aber besser ist, wir gehen nach weiter oben, in die Küche», sagte Guy de Serdaine.
|195| «Das war’s dann wohl für heute», stöhnte Clément. «Und die Schaufeln sind wir auch los.»
Marie-Provence richtete sich ruckartig auf. «Und oncle Constantin? Was ist mit oncle Constantin? Wir haben ihn da unten gelassen!»
Sie sprang auf die Füße. «Wir können ihn doch nicht in diesem Loch …»
Ihr Vater fasste sie am Arm. «Wir können jetzt nichts machen, Liebes. Wir müssten tauchen. Der Flur ist sehr lang, mehrere
Keller gehen von ihm ab, und der Rückfluss – der Rückfluss könnte ihn mitgenommen haben.»
Marie-Provence erstickte einen Schrei unter ihren Händen.
«Es tut mir sehr leid, ma chérie», sagte ihr Vater leise.
«Ihr Onkel ist an der Seite Unseres Herrn. Ich habe ihm die Letzte Ölung erteilt. Sein Körper ruht in Frieden, egal, wo er
sich befindet», sagte der abbé d’If.
«Geht es Ihnen allen gut?» Es war Ernestines Stimme, die zu ihnen herunterdrang, begleitet von dem hellen Schein einer Laterne.
«Ja, alles in Ordnung!», rief Guy de Serdaine. «Wir sind hier!»
Die Alte hangelte sich ein paar Stufen herunter und riss die wässrigen Augen auf, als sie ihrer aller Zustand sah. Sie ließ
den Schein der Laterne über jeden von ihnen gleiten.
«Und wo ist der junge Mann?», fragte sie.
Auf einmal war es totenstill. Alle sahen sich an.
«André?», fragte Marie-Provence dünn. Auf einmal flatterten ihre Hände unkontrolliert. «André? Ist er auch hier unten?»
«Verdammt!», fluchte ihr Vater.
***
Das Wasser leckte an Andrés Hals. Er keuchte. Noch war nicht alles verloren. Er konnte schwimmen. Die Decke war hoch.
Du hast Zeit. Bleib ruhig!
Der Sog, den das Wasser verursachte, das durch das gesprengte Loch in den Tunnel |196| schoss, war beträchtlich. Ob der Druck es erweitern würde? André atmete tief ein und aus, füllte seine Lungen und tauchte
unter, um es zu überprüfen.
Er hangelte sich im schwarzen Wasser an der Mauer nach unten. Da war die Öffnung. Er tastete ihre Ränder ab. War das Loch
größer geworden? Er wollte es glauben, mit der Kraft der Verzweiflung. Er riss an den Steinen. Der Druck in seinen Ohren nahm
zu. Einer der Steinquader bewegte sich. Er zog daran, bis sein Brustkorb zu platzen drohte. Dann tauchte er wieder auf.
Mit Schrecken bemerkte er, dass das Wasser inzwischen so hoch war, dass er nicht mehr stehen konnte. Schnaufend hielt er sich
an den Unebenheiten der Kellermauer fest.
Lass dich nicht hängen! Mach weiter! Schnell!
Er atmete noch einmal tief ein und tauchte wieder hinunter.
Luftblasen strichen über seine Wangen. Der Sog war stärker geworden. Das Loch größer! Er tastete fieberhaft. Sein Kopf würde
bereits durchpassen. Er packte einen Stein, zog mit aller Kraft an ihm, während der Sog, der an seinen Kleidern riss, wie
ein wütender Hund nach seinen Füßen schnappte. Seine Luft wurde knapp.
Da wurde der Stein unter seiner Hand weggerissen. Dann noch einer. Ein dritter. Die Wand unter ihm bewegte sich. Er schlug
mit den Beinen, ruderte, kämpfte sich in Richtung Oberfläche.
Seine Hand griff ins Leere. Luft!
Nur eine Sekunde später krachte etwas Großes gegen seinen Kopf. Seine Hände versuchten noch ein letztes Mal, Halt zu finden,
bevor er im Nichts versank.
|197| 7. KAPITEL
Messidor, Jahr II
Juli 1794
«Hat’s geschmeckt?», fragte Rosanne und stellte die Teller zusammen, auf denen die sauce Béchamel helle Schlieren hinterlassen
hatte.
«War in Ordnung», nuschelte ihr Gast, ohne seinen Zahnstocher aus dem Mund zu nehmen. «Obwohl, dein Mann hat’s noch besser
hingekriegt. In die macédoine hat er mehr Erbsen reingetan.»
«Die Erbsen sind mir eingegangen im Garten.»
«Was ist
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