Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
Vom Netzwerk:
äußerste Vorsicht walten zu lassen, |202| das Schloss über den Wald zu verlassen und die Fähre zu nehmen, um über den Fluss zu kommen. Allerdings war abzusehen, dass
     dies kein Dauerzustand bleiben würde. Heute fiel zwar erneut Regen, aber zuvor hatte er zwei Tage ausgesetzt, und die Seine
     hatte bereits begonnen, sich wieder zurückzuziehen.
    Marie-Provence griff nach dem steinernen Geländer. Ja, dachte sie, bald wird alles wieder so sein wie früher. Doch der Schmerz,
     der sie durchzuckte, strafte sie Lügen. Sie krallte ihre Finger um das Geländer. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es jemals
     wieder schaffen sollte, den Tunnel zu betreten. Der Gedanke, den langen, modrigen Gang zu durchqueren, in dem André den Tod
     gefunden hatte, war ihr unerträglich und trieb ihr den Schweiß aus den Poren.
    «Rosanne!», schrie sie. «Rosanne!»
    Die Gestalt ihrer Freundin erschien unvermutet am oberen Ende der Treppe. «Ach, Marie-Provence, du bist es! Wie schön, dich
     zu sehen! Ist etwas passiert? Warum schreist du so laut?»
    «Entschuldige. Ich habe dich nur gesucht.»
    In zwei Schritten war Rosanne bei ihr. «Was ist los?» Sie strich über Marie-Provence’ Haar. «Es geht dir doch nicht gut −
     hast du Sorgen?» Rosanne nickte wissend. «Es ist bestimmt die Überschwemmung. Du brauchst Ablenkung. Es ist dir noch nie bekommen,
     wenn du tagelang im Schloss hocken musstest. Du bist nicht wie die anderen, ohne Trubel und Leben um dich herum kannst du
     nicht sein.»
    Marie-Provence lächelte ein wenig und drückte ihre Freundin an sich. «Es tut auf jeden Fall gut, dich zu sehen, Rosanne. Du
     siehst wunderbar aus. Mir scheint, du hast Georges endlich vergessen.»
    «Nun, ich hatte wenig Zeit, an ihn zu denken, weißt du. Ich war zu beschäftigt.»
    «Oh, heißt das, dass das Restaurant besser läuft?»
    «Nein», lachte Rosanne. «Das heißt es nicht. Ich habe einen Mann gefunden. Er ist krank, und ich pflege ihn.»
    |203| «Gefunden? Einfach so?», fragte Marie-Provence und hob die Brauen.
    «Einfach würde ich es nicht nennen», lachte ihre Freundin auf. «Stell dir vor, er lag in unserem Gang! Er war in einem schrecklichen
     Zustand, und ich dachte, ich würde es nie schaffen, ihn bis in die Kirche zu schleppen.» Auf einmal stockte sie. «Marie-Provence?
     Ist dir nicht gut? Du bist plötzlich so bleich!»
    Marie-Provence benetzte ihre Lippen. «Wo   … Wo ist er?»
    «In meinem Zimmer. Willst du ihn sehen? Kennst du ihn vielleicht? Er hat mir bisher noch nicht erzählen können, wie er in
     den Tunnel gekommen ist, und   …»
    «Führ mich hin», hauchte Marie-Provence. «Bitte!» Ihr Puls donnerte in ihren Ohren. Wie eine Schlafwandlerin schritt sie hinter
     der Freundin her, bis diese in ein Zimmer wies.
    «Komm rein. Aber sei leise, vielleicht schläft er schon wieder!»
    Marie-Provence trat an das Bett, fixierte den Mann. Sie beugte sich über sein Lager. Berührte seine Haut. Warme Haut. Warme,
     pulsierende Haut! Sie sank auf die Knie.
    «Was ist?», fragte Rosanne beunruhigt. «Du kennst ihn?»
    In dem Moment schlug der Kranke die Augen auf. Er blinzelte ein wenig, wie um seinen Blick zu schärfen. Dann erkannte er seine
     Besucherin.
    Marie-Provence legte die Hände über die Augen und brach in Tränen aus.
    ***
    «Erzähl! Seit wann bist du zurück?», fragte Cédric. Er zog Corbeau ein Stück von der Wand weg.
    Zwar waren sie alleine im zweiten Stock des donjon, wenn man mal von der stumpfen Gegenwart des Gefangenen absah, doch aus
     einem unerklärlichen Gefühl heraus hielt Cédric lieber Abstand zu den mittelalterlichen Gemäuern. |204| Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man die Capets keinesfalls in einem Turm untergebracht, in dem man sich nie ganz sicher
     sein konnte, ob nicht doch irgendwo eine Geheimtür oder ein versteckter Gang lauerte. Zwar hatte er sich persönlich davon
     überzeugt, dass nichts dergleichen existierte, und jeden Daumenbreit in der Etage abgesucht. Doch ein vager, unbesiegbarer
     Aberglaube ließ ihn den mächtigen Mauern misstrauen.
    «Seit gestern», brummte Corbeau. Er krümmte die Schultern vor und versenkte die Hände tief in den Taschen seiner Wächter-Uniform.
    «Gestern? Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen?», zischte Cédric.
    «Wenn man eine stundenlange Fahrt in einer überfüllten Postkutsche hinter sich hat, möchte man nur noch eins: sich aufs Ohr
     hauen!», gab der Spitzel missmutig zurück. «Es gab außerdem keinen Grund, gleich

Weitere Kostenlose Bücher