Die Ballonfahrerin des Königs
Mitgefühl in Ehren, aber dieser Junge ist eine viel zu gefährliche
Bekanntschaft. Du wirst mir wieder sagen, dass ich mich nicht in dein Leben einmischen soll, aber …» In einem Tonfall, der keine Widerrede duldete, fuhr er fort: «Ich finde, du solltest diese Besuche ab sofort unterlassen.»
Sie starrte ihn sekundenlang an. André strahlte eine Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit aus, die ihr die Kehle zuschnürte.
Sag es nicht!, warnte sie eine Stimme in ihrem Inneren, es ist zu früh. Morgen. Morgen werde ich ihn fragen. Sie hob eine
Hand, strich ihm über die Wange. Sanft und mit bebender Stimme sagte sie: «Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt.»
***
«Wo sind die anderen?», fragte Marie-Provence ihren Vater neugierig, als sie durch einen Hintereingang den Nebenraum des Krämerladens
betraten. Cortey selbst stand vorne an seiner Theke. Er würde den Laden beaufsichtigen, während das Treffen stattfand. Sie
sah sich neugierig um. Im Zimmer befand sich nichts als eine alte Kommode mit drei Schubladen, die größte Waage, die Marie-Provence
jemals gesehen hatte, und ein schmales Bett.
«Das wirst du gleich sehen.» Guy de Serdaine schloss sorgfältig die Tür hinter ihnen zu. Mit ein paar Schritten war er an
der Waage. Sie hatte ein goldfarbenes Gehäuse, ein weißes emailliertes Zifferblatt und eine breite, beschmutzte Wiegefläche,
vor der ihr Vater nun niederkniete. Er machte sich an einer Stelle hinter dem Sockel zu schaffen.
|212| Marie-Provence riss die Augen auf, als die Waage plötzlich zur Seite rutschte. Geräuschlos gab sie eine Öffnung im Boden frei,
die genau den Maßen des Sockels entsprach.
Ihr Vater lächelte angesichts ihrer Überraschung. «Komm, geh du zuerst. Gib acht, die Sprossen zu treffen, es ist steil.»
Die Leiter führte Marie-Provence und ihren Vater in einen Raum mittlerer Größe, der wohnlich mit einem Teppich und ein paar
Möbeln eingerichtet war. Vier Männer hatten sich hier um einen kurzen Eichentisch versammelt. Wäre nicht das fehlende Tageslicht
gewesen, hätte man sich in einem bürgerlichen Salon wähnen können.
Ein Mann mit Bart stand auf. «Serdaine! Ich dachte, Sie hätten sich Condé angeschlossen!», sagte er lächelnd und schüttelte
Guy de Serdaine kräftig die Hand.
«Hatte ich auch, mein lieber Batz.»
«Oh, Sie sind in Begleitung!» Ein älterer Mann mit Holzbein verbeugte sich zackig. «Poura, Leutnant im Ruhestand. Enchanté.»
Marie-Provence trat vor. Ihr Blick lief über jeden der vier Männer, die im Kellerraum auf sie und ihren Vater gewartet hatten.
«Mein Name ist Marie-Provence de Serdaine. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Messieurs. Vielleicht werden einige
von Ihnen sich fragen, weshalb ich hier bin. Um es kurz zu machen: Ich arbeite in der maison de la couche auf der île de la
Cité, bei einem Arzt namens Jomart.»
«Alexandre Jomart», nickte ein rotgelockter, blasser Mann. «Der Arzt, der im Temple ein- und ausgeht. Ich habe bereits ein
paarmal über ihn geschrieben.» Er errötete leicht und nickte ihr zu. «Verzeihen Sie, Mademoiselle, dass ich mich Ihnen noch
nicht vorgestellt habe: Saison. Théophile Saison. Essayist beim
Journal de Paris.
»
«Enchanté, Monsieur», grüßte Marie-Provence. «Meine Mutter war eine treue Leserin Ihrer Zeitung.»
Als das
Journal de Paris
vor siebzehn Jahren zum ersten Mal erschien, war es die erste Tageszeitung Frankreichs gewesen. |213| Im Gegensatz zu den unzähligen neuen Publikationen, die seit der Revolution die Straßen überfluteten, hatte es keine politischen
Ansprüche. Die Kolumnen waren der Literatur, der Theaterwelt und den Opernaufführungen sowie dem gesellschaftlichen Klatsch
gewidmet. Gerade diese unpolitische Haltung aber machte das Blatt in den Augen der revolutionären Machthaber äußerst suspekt.
Vor zwei Jahren waren die Räume der Zeitung verwüstet worden – erfolglos, denn kurze Zeit später wurde das
Journal de Paris
erneut an den Straßenecken verkauft.
Guy de Serdaine ergriff das Wort: «Cortey wird Sie bereits informiert haben: Meine Tochter darf docteur Jomart während seiner
Visiten beim König begleiten. Ich brauche nicht zu betonen, von welch unschätzbarem Wert es ist, eine Person unseres Vertrauens
so nah am Kind zu haben.»
Der vierte Anwesende hob die Hand. «Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Serdaine. Doch bevor wir fortfahren, möchte ich
Ihre Aufmerksamkeit auf etwas lenken.»
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