Die Ballonfahrerin des Königs
Er warf ein Papier auf den Tisch.
«Was ist das, Assmendi?», fragte Guy de Serdaine knapp.
Assmendi war ein Mann mit scharfen, intelligenten Gesichtszügen; er deutete auf den Journalisten. «Saison und ich wurden bereits
vor einiger Zeit von Cortey darauf angesprochen, dass Ihre Tochter im Laden aufgetaucht sei. Cortey sagte, er würde nach Ihnen
schicken lassen, Monsieur de Serdaine, er bat uns aber außerdem, Recherchen über Mademoiselle de Serdaine zu machen. Was wir
daraufhin herausfanden, war, gelinde ausgedrückt, überraschend.» Er schob das Papier Marie-Provence’ Vater hin. «Dies ist
ein Zeitungsausschnitt, besser gesagt, eine Karikatur, die vor ein paar Wochen erschienen ist. Sie kennen sie bereits?»
«Nein.» Guy de Serdaine schüttelte den Kopf. Er war blass, als er sich zu Marie-Provence drehte. «Kannst du mir das erklären?»
***
|214| Der wuchtige Holzflügel schlug krachend zu. Ungeschickt hantierte Rosanne mit dem schweren Schlüssel, ehe das alte Schloss
endlich einrastete. Ängstlich sah sie sich im heißen Garten um. Beruhige dich!, redete sie sich zu, er ist nicht mehr hier.
Du hast ihn gehen sehen. Sie packte die Griffe ihrer kleinen Tasche und eilte den Weg zur Straße hinunter. Bevor sie das niedrige
Tor zuzog, das den Vorgarten abschloss, blieb sie noch einmal stehen. Ein letztes Mal drehte sie sich um und betrachtete die
kleine Kirche. Das Herz wurde ihr schwer. Es war vorbei.
Rosanne zog ihr Strohhütchen tief über ihre Augen und gab dabei acht, ihre verletzte Wange nicht zu berühren. Dann hastete
sie in Richtung Marktplatz. Du musst dich beeilen!, trieb sie sich an, du musst sie warnen! Sie presste ihre Tasche an die
Brust und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Hoffentlich fand sie jemanden, der sie mitnahm!
«Non, nach Paris fahr ich heute nicht mehr.» Der Käsehändler schüttelte wenig später den Kopf, während er ächzend ein goldenes
Käserad auf die aufgeklappte Ladefläche hievte. Die zwei Maultiere vor dem Wagen dösten ergeben unter der Sonne. «Ich muss
heute nur noch nach Conflans, eine Lieferung machen, und dort schlafe ich dann.»
Rosannes Blick hetzte über den leeren Marktplatz, auf dem Kohlstümpfe, faulendes Obst und irisierende Fischschuppen das Strandgut
des heutigen Vormittags bildeten. «Aber ich muss heute noch nach Paris!», flehte Rosanne und wischte sich den Schweiß von
der Stirn.
Der Käsehändler sah sie mitleidig an. «Noch vor einer Stunde hätte der Léon dich mitnehmen können, doch der ist schon über
alle Berge. Am besten gehst du zum Fluss. Heute in der Früh waren ein paar Fuhrleute bei mir, die leer in die Stadt zurückfahren.
Vielleicht hast du Glück, und sie sind noch da.»
Die Seine? Auf dem Fluss stromaufwärts zu fahren, würde bedeuten, erst tief in der Nacht in Paris anzukommen. Dann würde es
zu spät sein. Drei, höchstens vier Stunden – mehr hatte sie nicht. Mit zitternden Fingern öffnete sie ihre |215| Tasche, entnahm ihr die Geldbörse und streckte sie dem Händler hin.
«Gib mir eines deiner Maultiere!»
***
Marie-Provence sah von der Karikatur auf. Ein Kribbeln lief ihre Wirbelsäule entlang. Längst hatte sie die Zeichnung erkannt,
die nach ihrem Flug mit André erschienen war. Äußerlich ruhig sagte sie: «Natürlich kann ich das erklären. Das in dem Korb
bin ich. Und das da unten ist Robespierre. Es ist eine Darstellung der Fête de l’Être Suprême vor sechs Wochen.» Sie sah ihren
Vater offen an. «Ich hatte dir doch bereits erzählt, dass André Levallois mich einmal bei einem Flug mitgenommen hat.»
«Aber nicht, dass du dabei als Marianne aufgetreten bist!» Ihr Vater hatte sichtlich Mühe, die Fassung zu wahren.
«Es hat sich so ergeben, Vater», erklärte Marie-Provence beherrscht.
«Du hast dich von diesem Levallois ausnutzen lassen!» Guy de Serdaine warf das Bild verächtlich auf den Tisch. «Meine Tochter …»
«Ihre Tochter ist eine kleine Berühmtheit in Paris, Serdaine!», unterbrach ihn Assmendi mit einem leichten Lächeln.
«Die Frage ist, ob jemand, der von den populären Massen gefeiert wird, geeignet ist, um uns bei unseren Plänen zu helfen!»,
gab der alte Poura zu bedenken.
«Monsieur de Poura hat recht», sagte Batz ernst. «Wenn die Klatschspalten sich für Sie interessieren, Mademoiselle, wird es
für Sie schwierig sein, vor den Augen der Öffentlichkeit etwas zu verbergen.»
«Messieurs, ich verstehe Ihre Vorbehalte nicht»,
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