Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
wiederbelebt haben?«
Andrea zuckte mit den Schultern.
»Hätte Paul Bancroft das gekonnt?«
»Ich denke schon. Allerdings hat er sich recht kritisch über die ganze Organisation, auch kritisch über Genesis geäußert. Aber das beweist natürlich gar nichts.«
»Ein Freund von mir hat immer gesagt, alle Heiligen müssten als schuldig angesehen werden, bis ihre Unschuld bewiesen ist«, meinte Belknap nachdenklich. Er lag ausgestreckt auf einem der beiden Betten.
»Damit hat er Orwell zitiert.« Andrea saß auf einem nachgeahmten Empirestuhl an einem nachgeahmten Empireschreibtisch. Neben ihrem Ellbogen lagen bunte Prospekte über Freizeitaktivitäten in den umliegenden Städten Raleigh, Durham
und Chapel Hill verstreut. Der Ausdruck »Familienspaß« kam darin übertrieben häufig vor. »Ich kann mir noch kein Urteil erlauben. Vielleicht gibt es eine harmlose Erklärung. Vielleicht ist alles ein großes Missverständnis. Vielleicht …« Sie musterte ihn scharf. »Alles basiert auf dem, was Sie sagen, was Sie angeblich von diesem Omaner gehört haben. Vielleicht haben Sie sich alles nur ausgedacht.«
»Wozu sollte ich das tun?«
»Wie kann ich das wissen, verdammt noch mal? Ich zähle nur die Möglichkeiten auf. Ich ergreife nicht Partei.«
»Damit muss jetzt Schluss sein.«
»Schluss? Womit?«
»Dass Sie nicht Partei ergreifen.«
Aus Andreas Gesichtsausdruck sprachen Missvergnügen und Entschlossenheit. »Hören Sie, es ist schon spät. Ich gehe jetzt unter die Dusche. Wollen Sie uns inzwischen beim Zimmerservice ein Abendessen bestellen? Vielleicht fällt uns etwas ein, wenn wir gegessen haben. Aber wenn Sie mich schon gefangen halten wollen, bestehe ich wenigstens auf einer eigenen Zelle!«
»Ausgeschlossen. Und glauben Sie mir, das ist nur zu Ihrem Besten. Vielleicht sind Sie in Gefahr.«
Sie runzelte die Stirn. »Um Himmels willen, was …«
»Keine Angst, ich habe nicht vor, Ihre Zahnbürste zu benützen.«
»Davon rede ich nicht, das wissen Sie genau«, fauchte Andrea.
»Ich ziehe es nur vor, Sie dort zu haben, wo ich Sie sehen kann.«
»Ach, wirklich? Und was ist damit, was ich vorziehe?« Sie knallte die Badezimmertür zu.
Sobald die Dusche zu rauschen begann, setzte er sich ans Telefon und rief eine alte Freundin in der Fernmeldeaufklärung von Cons Ops an. Ruth Robbins begann ihre Laufbahn im Nachrichten- und Recherchendienst des Außenministeriums.
Später sorgte Belknap dafür, dass sie befördert und in die exklusive Abteilung Consular Operations versetzt wurde. Er erkannte, dass ihre Intelligenz, ihr Urteilsvermögen und ihre rasche Auffassungsgabe sie zu weit mehr befähigten, als Informationen zu sammeln und auszuwerten. In gewisser Weise sah er in ihr eine verwandte Seele, obwohl ihre Domäne nicht der Außen-, sondern der Innendienst war: ihr Reich aus Elektronikbauteilen. Ruth, jetzt Mitte vierzig, war eine stämmige Frau mit der Sensibilität einer Planierraupe. Sie hatte zwei Söhne allein großgezogen – ihr Mann war Berufssoldat und bei einem Manöverunfall umgekommen – und betrachtete die kleinen Schwächen des von Männern beherrschten Establishments, in dem sie Karriere gemacht hatte, mit mütterlicher Strenge.
»Castor«, sagte sie, als sie seine Stimme hörte. »Was ich immer schon mal fragen wollte: Ist der Stern eigentlich nach dir benannt?« Unter diesem Scherz war Wärme zu spüren. Dass er sie zu Hause angerufen hatte, war irregulär, aber sie erfasste sofort, dass sein Anliegen dringend sein musste. »Augenblick!«, sagte sie, und obwohl sie die Sprechmuschel mit einer Hand zuhielt, hörte er sie rufen: »Genug Fernsehen für heute, junger Mann! Marsch ins Bett und keine Widerrede!« Eine kurze Pause, dann meldete sie sich wieder. »Also, was gibt’s, mein Lieber?«
Belknap erwähnte rasch einige Schlüsselbegriffe, gab ein paar Hinweise auf das Rätsel, vor dem er stand. Bei dem Namen Genesis hörte er sie scharf Luft holen.
»Tut mir leid, Castor, darüber kann ich am Telefon nicht reden. Aber wir haben diesen Namen – und weit zurückreichende Informationen – in unseren Datenbanken. Und nach jahrelangem Schweigen ist dieser Name in letzter Zeit wieder im Gespräch.« Eine kurze Pause. »Du kennst die Bestimmungen in unserem Laden: Ich käme außerhalb der Dienstzeit nicht hinein, selbst wenn ich wollte. Aber wenn ich mich morgen früh angemeldet habe, frage ich sämtliche Datenbanken ab. Allerdings ist
das nichts, was sich am Telefon besprechen
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