Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
lässt – ich habe mich bestimmt schon strafbar gemacht.«
»Dann müssen wir uns treffen.«
»Wohl lieber nicht.« Das Unbehagen in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Ruth, bitte.«
»Damit würde ich meinen Job riskieren. Sieht mich jemand beim Lunch mit dir, könnte ich unter den jetzigen Umständen meine Zulassung verlieren. Dürfte vielleicht nur noch in der Wäscherei der Agentenschule arbeiten.«
»Morgen Mittag«, sagte Belknap.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
»Im Rock Creek Park. Ein kurzer, ungefährlicher Treff in der Öffentlichkeit, okay? Davon erfährt kein Mensch etwas. Du weißt, wo der Reitweg im Osten dicht an die Schlucht heranführt? Dort sehen wir uns. Komm nicht zu spät.«
»Verdammt, Castor«, sagte Ruth, aber das klang bereits zustimmend.
Ruth Robbins war eine begeisterte Reiterin, das wusste er, und ritt in ihrer Mittagspause oft im Rock Creek Park aus: in dem über achthundert Hektar großen bewaldeten Gelände im Nordwesten von Washington, D.C. Es war zweckmäßig, sich dort zu treffen, wo sie sich oft aufhielt; so gab es nichts Außergewöhnliches zu bemerken, und Ruth konnte ihre Bewegungen wahrheitsgemäß schildern, falls es jemals zu Ermittlungen kam. Und dort draußen war es unwahrscheinlich, dass sie beobachtet wurden.
Er konnte die Morgenmaschine zum Ronald Reagan oder Dulles International Airport nehmen, um frühzeitig in Washington zu sein. Jetzt streckte er sich auf dem Sofa aus und nahm sich vor, rasch einzuschlafen; seine im Einsatz bewährte Fähigkeit, schlafen zu können, wann und wo er wollte, erwies sich in letzter Zeit als weniger zuverlässig. Er lag in dem dunklen Zimmer
wach und hörte Andrea Bancroft ganz in der Nähe in ihrem Bett liegend atmen. Sie stellte sich wie er schlafend, und es schien Stunden zu dauern, bis er endlich einschlief … und von Menschen träumte, die er verloren hatte. Von Yvette, die ihm in den Flitterwochen entrissen worden war. Von Louisa, die bei einem Unternehmen in Belfast in die Luft geflogen war. Vor seinem inneren Auge zogen Gesichter vorbei: Freunde und Geliebte, die er überlebt hatte; Freunde und Geliebte, die ihn verlassen hatten. Nur einer hatte stets unerschütterlich zu ihm gehalten: Castors Zwillingsbruder Pollux.
Jared Rinehart, der ihn niemals im Stich gelassen hatte. Den er nun seinerseits im Stich ließ.
Belknap stellte ihn sich jetzt vor: gefangen, misshandelt und verzweifelt – hoffentlich nicht aller Hoffnung beraubt. Pollux hatte Castor mehr als einmal das Leben gerettet, und solange Castor lebte, würde er für die Rettung seines Freundes kämpfen. Halt durch, Pollux, ich hol dich raus. Ist der Weg auch noch so schwierig – ich folge ihm, wohin er führen mag.
Am nächsten Morgen erklärte er Andrea, was er vorhatte.
»Das ist in Ordnung«, sagte sie. »Ich suche inzwischen den Terrapin Drive. Ich will wissen, was meine Mutter gewusst hat.«
»Sie können nur vermuten, dass es mit dieser Sache zu tun hat. Das ist ein Schuss ins Blaue.«
»Falsch – ich weiß genau, was ich tue.«
»Sie sind für solche Aufgaben nicht ausgebildet, Andrea.«
»Dafür ist niemand ausgebildet. Aber nur einer von uns sitzt im Stiftungsrat. Nur einer von uns hat einen legitimen Grund für diesen Besuch.«
»Aber er kommt zur falschen Zeit.«
»Bestimmen Sie jetzt, wie alles abzulaufen hat?«
»Ich komme mit. Ich helfe Ihnen, okay?«
»Wann?«
»Später.«
Andrea starrte ihn forschend an. Dann nickte sie abrupt. »Gut, wir machen’s, wie Sie vorschlagen.«
»Ich fliege um neun und bin am späten Nachmittag wieder zurück«, sagte er. »Machen Sie bis dahin keine Dummheiten. Bleiben Sie möglichst unsichtbar, lassen Sie sich das Mittagessen aufs Zimmer bringen, dann passiert nichts.«
»Verstanden.«
»Es ist wichtig, dass Sie sich an gewisse Regeln halten.«
»Ich tue genau, was Sie sagen. Darauf können Sie sich verlassen.«
Ich tue genau, was Sie sagen, hatte Andrea ihm freundlich, listig erklärt, und Todd Belknap schien ihr zu glauben. Etwas in seinem Blick verriet ihr, dass ihre Prioritäten ihn nicht beeinflussen konnten, dass er sich nicht davon abbringen lassen würde, nur die eigenen zu verfolgen. Die Arroganz dieses muskelbepackten Kerls schien grenzenlos zu sein, aber sie konnte Andrea an nichts hindern. Es war ihr Leben, von dem hier die Rede war. Und was war er überhaupt? Sein offizieller Status war weiter ungewiss. Vielleicht war es aus guten Gründen aus
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