Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
dem Geheimdienst entlassen worden. Trotzdem standen die grundlegenden Tatsachen für sie fest: Jemand in der Bancroft-Stiftung hatte einen sehr bösen Mann angerufen. Das passte zu dem Verdacht, innerhalb der Stiftung gebe es jemanden oder irgendeine Gruppe, die ihre eigenen Ziele verfolgte. Die entscheidende Frage blieb, ob Paul Bancroft davon wusste.
Im Augenblick war sie zu entschlossen, um Angst zu haben, oder vielleicht hatte ihr gestriges Erlebnis mit Belknap in der Limousine ihren Angstvorrat weitgehend aufgezehrt. Jetzt fuhr sie mit einem Leihwagen, einem dunkelroten Cougar, auf der Suche nach dem Terrapin Drive die Straßen ab, die den Research Triangle Park kreuz und quer durchzogen.
Der Bancroft-Stiftung gehörten hier draußen über vierhundert Hektar Land; so großer Grundbesitz ließ sich unmöglich verstecken. Vierhundert Hektar Kiefernwald konnte man nicht so einfach verstecken … außer natürlich in dreitausend Hektar Kiefernwald.
Es war zum Verrücktwerden! Sie fuhr die große Durchgangsstraße entlang und bog immer wieder auf kleine Straßen zwischen Forschungs- und Entwicklungslabors ab. Mal rechts, mal links. Sie wusste, dass das Gelände nicht an einer Staatsstraßen oder der Interstate lag. Der Südteil des Dreiecks war am besten erschlossen, also war der Norden aussichtsreicher. Dort durchzogen schmale Straßen, an denen nur sporadisch Wegweiser standen, das Land wie Kapillaren. Andrea hatte das Gefühl, schon lange nicht mehr auf öffentlichen Straßen unterwegs zu sein. Sie fuhr seit Stunden herum, kam aber praktisch nicht vom Fleck. Nachdem sie endlos abgebogen, im Kreis gefahren und mehrmals sogar in Sackgassen geraten war, sah sie eine Makadamstraße, an der ein Schild mit einer grünen Schildkröte stand. Das war eine Terrapin: eine Süßwasserschildkröte mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Aber auf dem Schild, das ihr die wirkliche Bestätigung lieferte, stand: DURCHFAHRT VERBOTEN.
Sie bog auf den Terrapin Drive ab. Die Straße verlief in Mäandern durch Hochwald, und etwa alle zweihundert Meter standen weitere Verbotsschilder: Durchfahrt verboten. Jagen und Angeln verboten. Betreten verboten. Sie waren unmöglich zu übersehen.
Andrea ignorierte sie. Die Makadamstraße verengte sich bald zu einer schmalen, kurvenreichen, aber tadellos asphaltierten Fahrspur. Trotzdem sah sie um sich herum nichts als Urwald. Konnte sie sich getäuscht haben? Aber sie würde sich nicht beirren lassen. Sie hatte einen Vierteltank Benzin dafür verbraucht, kreuz und quer durch den Wald zu fahren, immer wieder aufs
Geratewohl abzubiegen und darauf zu hoffen, dass sie die Einrichtung zufällig finden würde.
Und jetzt – das war offensichtlich – war sie am Ziel.
An dem Gebäude, das sich vor sich hatte, erkannte sie sofort etwas: Obwohl es nicht im selben Stil wie die Zentrale in Katonah erbaut war, gab es bestimmte Ähnlichkeiten in der Art, wie es sich seiner Umgebung anpasste. Der niedrige Bau aus Naturstein und Glas war auf eine Weise eindrucksvoll, die schwer zu analysieren war. Wie in Katonah konnte man nahe vor ihm stehen, ohne ihn richtig zu sehen – bestimmt war er gegen Beobachtung aus der Luft ausgezeichnet getarnt –, aber hatte man ihn erst einmal entdeckt, war seine subtile Großartigkeit unmöglich zu übersehen. Wie die Zentrale der Stiftung in Katonah verkörperte es Qualität und Größe ohne Anmaßung. Beide Gebäude waren Beispiele für eine Architektur der Diskretion.
Das heisere Grollen eines starken Motors sagte ihr, dass sie nicht länger allein war. Ein mächtiger schwarzer Range Rover war in ihrem Rückspiegel aufgetaucht und füllte ihn jetzt völlig aus. Wer in dem Wagen saß, war nicht zu erkennen – vielleicht wegen des schräg einfallenden Sonnenlichts, vielleicht wegen der getönten Scheiben beider Fahrzeuge. Aber der Geländewagen drängte ihren kleinen Cougar auf die Zufahrt zu dem Gebäude aus Stein und Glas. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Andererseits hatte sie’s darauf angelegt, nicht wahr?
Vorsichtig mit dem, was du dir wünschst …
Sie konnte Gas geben und … was tun? Einen Geländewagen rammen, der doppelt so viel wog wie ihr Cougar? Niemand würde es wagen, ihr etwas anzutun, nicht wahr? Der Range Rover sah wie das Fahrzeug eines Sicherheitsdiensts aus; offenbar war sie für einen Eindringling gehalten worden, oder? Das alles sagte Andrea sich, ohne es recht zu glauben.
Im nächsten Augenblick stiegen zwei uniformierte Männer aus und
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