Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
veranlassten sie auf eine Weise, die man für wortkarge
Höflichkeit oder gelinden Zwang halten konnte, ebenfalls auszusteigen.
»Was zum Teufel fällt Ihnen ein?«, fauchte Andrea, denn mit Anmaßung würde sie weiter kommen als mit Schüchternheit. »Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«
Einer der Männer betrachtete sie abschätzend. Sie schrak vor seiner fleckigen Haut und seinen zusammengewachsenen Augenbrauen zusammen.
»Dr. Bancroft erwartet Sie«, erklärte der andere Mann ihr, indem er sie sanft, aber nachdrücklich zum Eingang des Gebäudes dirigierte.
Kapitel zwölf
Das tat er wirklich.
Die Glastür schloss sich automatisch hinter ihr, und Paul Bancroft kam um eine Ecke, lächelte erfreut und breitete die Arme aus, als wolle er sie umarmen. Andrea ging jedoch nicht zu ihm. Sie sah das Lächeln auf seinem Gesicht, von dem seine zarte Haut sich in Fältchen legte, den klaren, warmen Blick, und wusste nicht, was sie denken sollte.
»Meine Güte, Andrea!«, rief der Philanthrop aus. »Du erstaunst mich ständig von Neuem!«
»Wohin du gehst, bin ich auch«, antwortete sie trocken. »Leute wie ich tauchen immer wieder auf.«
»Das freut mich, das freut mich.« Paul Bancroft schmunzelte zufrieden. »Willkommen in der Fabrik.«
Sie suchte sein Gesicht nach Spuren von Zorn oder Bösartigkeit ab, fand aber keine. Stattdessen strahlte er geradezu vor Jovialität und Gutmütigkeit.
»Ich weiß nicht, was mir am meisten imponiert: deine Neugier, deine Hartnäckigkeit, deine Entschlossenheit oder dein Einfallsreichtum«, erklärte der weißhaarige Gelehrte ihr.
»Neugier genügt«, wehrte Andrea ab. »Die ist sehr real vorhanden.«
»Ich erkenne wirkliches Führungspotenzial in dir, meine Liebe.« Mit einer eleganten Bewegung seiner langfingrigen Hand entließ er die kräftigen Männer, die sie hineinbegleitet hatten. »Und in meinem Alter bin ich allmählich auf der Suche nach einem Nachfolger.«
»Oder nach einem Prinzregenten«, sagte Andrea.
»Solange Brandon minderjährig ist, meinst du. Ich hoffe sehr, dass der Junge sich für das Familienunternehmen interessieren wird, aber Garantien gibt’s dafür nicht. Findet man also jemanden mit den richtigen Voraussetzungen, muss man ihn beachten.« Seine Augen glänzten.
Andreas Mund war wie ausgetrocknet.
»Komm, wir machen einen Rundgang«, forderte er sie herzlich auf. »Hier gibt’s viel zu sehen.«
Es musste über zehn Jahre her sein, überlegte Todd Belknap sich, dass Ruth Robbins versucht hatte, ihn davon zu überzeugen, das Reiten könnte ein Freizeitvergnügen statt eine in höchster Not ergriffene Maßnahme sein. Er hatte sich nie überzeugen lassen, war nie zum Pferdenarren geworden, aber er hatte die Zeit mit Ruth genossen. Aufgewachsen war die Tochter eines High-School-Footballtrainers in Stillwater, Oklahoma, wo Footballtrainer noch ungekrönte Könige waren. Jedoch immer in Gefahr, den Weg aufs Schafott antreten zu müssen. Ihre Mutter stammte aus Quebec und war Französischlehrerin an einer anderen High School gewesen. Ruth, die ihr Sprachtalent geerbt hatte, lernte Französisch, Italienisch und Spanisch. Und seit einem mit vierzehn Jahren in Bayern verbrachten Sommer sprach sie auch passabel Deutsch. Sie war verrückt nach Fußball – liebte ihn mehr als amerikanischen Football – und stürzte sich in alles, was sie anpackte, mit einer Mischung aus Gutgelauntheit und trockener Ironie. Ruth war eine Menschensammlerin, die etwas an sich hatte, das andere Leute offen reden ließ. Teenager erzählten ihr von ihrem Liebesleben; Mittdreißigerinnen erzählten ihr von Eheproblemen; alte Frauen erzählten ihr von finanziellen Nöten. Sie gab freche Kommentare ab, aber sie fällte keine Urteile, und selbst ihre bissigsten Bemerkungen klangen nicht verletzend.
Fast genau um zwölf Uhr hörte Belknap die Hufschläge eines Pferdes auf dem festgetretenen Erdboden näher kommen. Er
stand von dem Felsband neben dem Reitweg auf und winkte lässig, als seine Kontaktperson zu Pferd in Sicht kam. Ruth wirkte angespannt, als sie sich aus dem Sattel schwang und die Zügel an einen dünnen Baumstamm band. Im Rock Creek Park gab es achtzehn Kilometer Reitwege, und diese Stelle war die vermutlich einsamste, die sich hier finden ließ.
Ruth Robbins blieb bei ihm stehen, ohne sich ihm jedoch zuzuwenden. So konnte jeder von ihnen einen Bereich von hundertachtzig Grad im Auge behalten, dort auf Anomalien achten. »Das Wichtigste zuerst«, sagte sie ohne
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