Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
Und das hat sie so drängend, so hartnäckig wiederholt, dass eines Tages eine Mitteilung für sie einging.«
»Eine Nachricht von Genesis?«
»Die Mitteilung lautete, Genesis habe ihren Wunsch gehört und sei bereit, ihn zu erfüllen. Aber nur zu einem bestimmten Preis. Sie würde dafür ihr Leben lassen müssen. Das war seine Bedingung. Die konnte sie nur annehmen oder ablehnen. Davon abrücken würde er auf keinen Fall.«
Belknap lief ein leichter Schauder über den Rücken, aber daran war nicht die Brise schuld.
»Also hat die vor Trauer hysterische Mutter zugestimmt«, fuhr Ruth fort. »Sie hat sich mit seiner Bedingung einverstanden erklärt. Und ich vermute, dass sie ein Handy und detaillierte Anweisungen
bekommen hat, die sie an einen einsamen Ort geführt haben. Dort ist sie am nächsten Morgen tot aufgefunden worden. In der Linken hatte sie einen handgeschriebenen Zettel, auf dem sie bestätigte, den gesehen zu haben, dessen Anblick niemand überleben könne. Nun wussten alle, dass Genesis sein Versprechen gehalten hatte. Und das Unheimliche daran ist – so heißt’s zumindest –, dass niemand die Todesursache feststellen konnte. Sie war einfach tot.«
»Unglaublich!«, murmelte Belknap.
»Ich bin ganz deiner Meinung«, bestätigte die Analystin von Consular Operations. »Das klingt nach einer gottverdammten urbanen Legende. Wir hören alle diese Storys, aber bisher haben wir noch keine verifizieren können. Und du kennst mich. Ich bezweifle alles, was ich nicht überprüfen kann.«
»›Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde …‹«
»Schon möglich. Schon möglich. Aber für mich zählt nur, was ich zählen kann. Stürzt im Wald ein Baum um, ohne dass ich das durch Fernmeldeaufklärung bestätigen kann, steht der Baum aus meiner Sicht weiterhin.«
Belknap musterte sie scharf. »Okay, erzähl mir von Inver Brass.«
Ruth Robbins erbleichte. Ihr Blick wirkte plötzlich leblos.
Er brauchte einige Sekunden – in denen in einem Mundwinkel ein dünner Blutfaden erschien, als sei sie mit dem Lippenstift ausgerutscht –, um den Grund dafür zu erkennen. Sie brach zusammen, aber sie war schon tot, bevor sie den Boden berührte.
Der hellrote Blutfaden glänzte in der Mittagssonne.
Paul Bancrofts Stolz auf seine Einrichtung in North Carolina war jungenhaft, überschwänglich, durch nichts gebremst. Er schritt gebieterisch Korridore entlang, die mit poliertem Schiefer ausgelegt waren und durch Querwände aus Milchglas unterteilt wurden. Aber was war das für eine Einrichtung?, fragte Andrea
sich. Was tut Paul hier? Sie sah übervolle Aktenregale und Trauben von Computerterminals und hörte ein Summen wie von einem NASA-Kontrollzentrum im Bereitschaftszustand. Die Beleuchtung war schwach, aber von gleichbleibender Intensität, die an eine Inkunabeln- oder Handschriftensammlung erinnerte. In regelmäßigen Abständen führten Treppen – Holzstufen, Stahlgeländer, mit Schiefer belegte Treppenabsätze – ein Stockwerk tiefer. Bestimmt lagen große Teile des Gebäudes unter der Erde. Männer und Frauen, die in korrekter Geschäftskleidung an Computern saßen, blickten flüchtig auf, wenn die beiden vorbeikamen.
»Ich habe ein wirklich überragendes Analystenteam zusammengestellt, darf ich von mir selbst behaupten«, erklärte Paul Bancroft ihr beim Betreten eines Zentralbereichs. Von Jalousien abgedeckte Oberlichter ließen nur einen Bruchteil des Sonnenlichts ein, das durch getöntes Glas zusätzlich gefiltert wurde.
»Und es gut versteckt.«
»Hier ist’s ziemlich einsam«, gab der Gelehrte zu. »Aber der Grund dafür wird dir bald klar werden.«
Er blieb mit einer Handbewegung stehen, die dem Bereich vor ihnen galt. Ein halbes Dutzend Männer und Frauen schienen sich, von Computermonitoren umgeben, an einem u-förmigen Konferenztisch zu beraten. Einer von ihnen – ein schmächtiger Mann, der einen sorgfältig gestutzten Vollbart hatte und einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd, aber ohne Krawatte trug – stand auf, als die beiden näher kamen.
»Was hört man aus La Paz?«, fragte Bancroft ihn.
»Wir sind dabei, die Analysen zu kollationieren«, antwortete der Bärtige mit klarer, sanfter Stimme. Seine Hände waren zart, fast weiblich.
Andrea betrachtete die an dem Konferenztisch sitzenden Männer und Frauen. Dabei fühlte sie sich wieder ein bisschen wie Alice im Wunderland.
»Ich mache nur einen kleinen Rundgang mit meiner Cousine Andrea«, erklärte Bancroft den
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