Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
durch Neonröhren ersetzt; auf beiden Seiten des lang gestreckten Raums standen Koffer in Regalen.
Während er weiterhastete, versuchte er, die Gefahrenlage zu analysieren. Was hatte er in der Halle genau wahrgenommen? Einen Mann – einen durchschnittlich aussehenden Vierziger in einem gewöhnlichen grauen Anzug –, der in einem Sessel saß und Zeitung las. Ihm schräg gegenüber ein Mann und eine
Frau, beide Ende zwanzig oder Anfang dreißig, die miteinander an einem Tischchen saßen. Eine weiße Teekanne, zwei weiße Tassen. Nichts, was einem Nichtprofi aufgefallen wäre. Was Belknap warnte, war die Tatsache, dass keiner der beiden aufsah, als er hereinkam. Ein gewöhnliches Paar hätte einen hereinkommenden Fremden wenigstens kurz neugierig angesehen. Aber das brauchten diese beiden nicht zu tun; sie hatten ihn bereits durch die Glaswand neben der extrabreiten Drehtür kommen gesehen. Stattdessen blickte die Frau flüchtig zu dem älteren Mann hinüber, der seine Zeitung ein bisschen zu tief hielt, um sie tatsächlich lesen zu können.
Dazu kam die Sache mit ihren Schuhen: Der ältere Mann hatte die Beine so übereinandergeschlagen, dass die Sohlen seiner teuren Oxfords sichtbar waren – nicht Leder, sondern gerillter schwarzer Gummi. Die Frau war elegant gekleidet – helle Seidenbluse, dunkler Rock –, aber auch ihre Schuhe hatten dicke Gummisohlen. Sie war sorgfältig zurechtgemacht, hatte das Haar hochgesteckt und wirkte sehr gepflegt, sodass ihre Schuhe mit Gummisohlen ein störendes Element waren. Alle diese Dinge hatte Belknap instinktiv mit einem einzigen Blick erfasst; sie zu benennen, sich über sie Rechenschaft abzulegen, dauerte etwas länger. Er kannte diese Leute – nicht persönlich, aber beruflich, ihre Spezies. Er wusste, welche Ausbildung sie hatten; er wusste auch, wer sie ausgebildet hatte. Leute wie er.
Sie waren Feinde, noch schlimmer, sie waren Kollegen . Angehörige eines Rückholteams von Consular Operations. Das mussten sie sein. Gut ausgebildete Profis, die einen Auftrag auszuführen hatten. Sie waren keine Misserfolge gewöhnt; sie hatten keinen Anlass, mit einem zu rechnen. Auch Belknap hatte schon mehrmals solche Aufträge ausgeführt. Nie hatte das Unternehmen anders als mit einem raschen Erfolg geendet. Wie konnten sie wissen, wo ich aufkreuzen würde?, fragte er sich, aber für solche Fragen war jetzt keine Zeit.
Am Ende des Gepäckraums befand sich eine weitere Schwingtür mit einem runden Fenster; Belknap stieß sie auf und gelangte in einen Raum, der nach industrieller Großküche aussah. Mehrere kleine braune Männer mit glattem schwarzem Haar waren mit den Vorbereitungen fürs Abendessen beschäftigt, aber weil Wasser rauschte, Küchenmaschinen surrten und Edelstahltöpfe auf dem großen Herd schepperten, wurde niemand auf ihn aufmerksam. Gemüsekonserven von der Größe kleiner Ölfässer waren auf Stahlwagen mit Gummirädern gestapelt. Hier gab es einen Hinterausgang – aber der würde bestimmt überwacht werden. Stattdessen entdeckte er einen kleinen Aufzug, der offenbar für den Zimmerdienst bestimmt war.
Hinter sich hörte er das Klappern von Schuhen mit Ledersohlen: Andrea folgte ihm noch immer.
Genau das hätte sie nicht tun sollen! Aber sie war kein Profi, hatte nichts von dem verstanden, was er ihr zu signalisieren versucht hatte.
Ein neues Geräusch: das Klick-klack einer schussbereit gemachten Pistole. Aus einer Nische neben dem Serviceaufzug trat ein drahtiger kleiner Mann, der Belknap mit einer Pistole M9 bedrohte.
Verdammt! Nicht nur Andrea hatte sich diesmal verrechnet. Das Team war gut verteilt eingesetzt – das bewies die Tatsache, dass auch dieser Aufzug überwacht wurde.
Andrea zog Belknap kräftig am Ärmel. »Was zum Teufel geht hier vor?«
Der drahtige kleine Mann – mit stahlgrauen Augen in einem breiten, von Wind und Wetter gegerbten Gesicht – trat näher an sie heran, bewegte seine Pistole von einem zum anderen. »Wer ist Ihre Freundin?«, fragte er barsch.
Andrea holte erschrocken tief Lift. »O Gott, ich kann’s nicht glauben, ich kann’s nicht glauben!«
Drei in der Hotelhalle. Nicht fünf oder sieben. Nur drei. Das
bedeutete, dass hier ausschließlich SZP-Personal eingesetzt wurde – Veteranen von Sonderzugangsprojekten, die unter strengster Geheimhaltung durchgeführt wurden. Drei in der Hotelhalle bedeuteten, dass dieser Mann mit der mattschwarzen Pistole in der Hand auf sich allein gestellt war. Er würde die
Weitere Kostenlose Bücher