Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
gewählt.
Der Ministerpräsident trug wie die meisten Kabinettsmitglieder einen dunkelblauen Zweireiher. Weil er die Kunst des Verabschiedens weniger gut beherrschte als der Präsident, hatte er sich, übertrieben begeistert nickend, von einer stämmigen Frau – zweifellos eine Größe in der Musikwelt – in ein Gespräch verwickeln lassen, während seine Augen verzweifelt Notsignale an seine Mitarbeiter sendeten. Der Kultusminister – ein Mann mit käsigem Teint und Augenbrauen, die wie aufgemalt aussahen – unterhielt sich gönnerhaft mit einer Gruppe westlicher Besucher;
er war anscheinend dabei, einen Witz oder eine Anekdote zu erzählen, denn er musste immer wieder pausieren, um prustend zu lachen. Der Mann, nach dem Belknap Ausschau hielt – der stellvertretende Handelsminister –, benahm sich ganz anders. Sein Glas, auf dessen Rand eine Limonenscheibe steckte, enthielt vermutlich nichts Stärkeres als Mineralwasser. Über seinen kleinen Augen lag eine breite Stirn mit einem in der Mitte spitz zulaufenden Haaransatz. Er sprach nicht viel, nickte meistens nur und verbrachte wenig Zeit bei einzelnen Gruppen.
Der stellvertretende Minister hieß Andrus Pärt, und nach Gennadis Einschätzung würde es sich für Belknap lohnen, seine Bekanntschaft zu machen. Die Logik dahinter war zwingend. Der Mogul, nach dem er fahndete, war groß. Estland hingegen war klein. Andrus Pärt hatte, wie ihm der Russe versicherte, Verbindungen zu allen wichtigen Männern der hiesigen Privat- und Schattenwirtschaft. In dem kleinen baltischen Staat machte niemand erfolgreich Geschäfte, ohne sich mit einflussreichen Regierungsmitgliedern arrangiert zu haben. Andrus Pärt würde die wichtigsten Leute kennen; er würde den Mann kennen, auf den Belknap Jagd machte. Sobald der Agent ihn zu Gesicht bekam, war er sich seiner Sache erst recht sicher. Die Nase des Spürhunds, dachte er lächelnd.
Nun kam der schwierige Teil. Belknap ließ sich an Gruppen und Grüppchen vorbei über kostbares Parkett und noch kostbarere Orientteppiche treiben, bis er keine zwei Meter von dem stellvertretenden Minister entfernt war. Der Gesichtsausdruck, den er aufgesetzt hatte, unterschied sich von dem angestrengt beflissenen Lächeln, das bei solchen Empfängen üblich war; er war ein Geschäftsmann, der einen bestimmten Zweck verfolgte. Für einen Politiker war ein allzu salbungsvolles Lächeln eine Aufforderung zum Weitergehen; andererseits durfte Belknap auch nicht unhöflich wirken. Also lächelte er knapp und beherrscht, als er sich dem stellvertretenden Minister zuwandte.
»Der ehrenwerte Andrus Pärt, wenn ich mich nicht irre«, sagte Belknap. Seine Stimme klang ausdruckslos; er sprach das Englisch eines Mannes, der es auf teuren Privatschulen als Fremdsprache gelernt hat.
»Ganz recht«, antwortete der stellvertretende Minister nur, aber Belknap merkte, dass er neugierig war. Hier waren keine Leute versammelt, die sich in der estnischen Politik auskannten, und Belknaps nüchterner Blick war nicht der des üblichen Partygängers.
»Seltsamerweise haben wir uns nie kennengelernt«, sagte Belknap berechnend. Diese Aussage musste den Mann noch neugieriger machen: Sie suggerierte, dass sie sich aus irgendeinem Grund hätten kennen sollen. Auf Pärts Gesicht zeigte sich ein Funken Interesse – sicher erstmals an diesem Abend. »Ich bin gebeten worden, das zu ändern.«
»Tatsächlich?« Die überschatteten Augen des Esten gaben wenig preis. »Und weshalb?«
»Entschuldigung.« Belknap streckte erst jetzt die Rechte aus, als erweise er dem anderen damit einen Gefallen. »Roger Delamain.«
Mit diesem Namen konnte der stellvertretende Minister anscheinend nicht gleich etwas anfangen. »Von Grinnell International«, fügte Belknap rasch hinzu. Delamain war tatsächlich einer der Geschäftsführer von Grinnell; recherchierte Pärt im Internet, würde er seine Biografie, aber kein Foto von ihm finden.
»Grinnell«, wiederholte der Este. Der Blick, mit dem er Belknap musterte, sprach Bände – nur leider in einer Fremdsprache. »Interessant. Haben Sie sich einer Musiksparte angegliedert?« Ein rasches, krampfhaftes Lächeln. »Vielleicht für Militärmärsche?«
»Musik ist meine Leidenschaft«, versicherte Belknap ihm. »Vor allem die estnische Chortradition. Diese Gelegenheit musste ich einfach wahrnehmen.«
»Das macht uns stolz«, erwiderte Pärt automatisch.
»Ich bin auch ein Freund weiterer estnischer Traditionen«, fuhr Belknap
Weitere Kostenlose Bücher