Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
er ein Manöver vor.
Belknap ließ den Gashebel bis zum Anschlag nach vorn geschoben. Wie diese Verfolgungsjagd ausgehen würde, stand außer Zweifel. Rinehart hatte das größere Boot, ein Galia mit übergroßen Schrauben, das ein breites, schäumendes Kielwasser hinterließ. Es war größer und stärker als Belknaps Riva, aber deswegen nicht schneller; es verhielt sich zu dem kleinen Sportboot wie ein Sattelschlepper zu einer Limousine. Ein weiteres Wellental, in das er eintauchte, nahm Belknap die Sicht. Er war jetzt ungefähr zweieinhalb Kilometer von der Küste entfernt, und Rinehart steuerte sein Galia in einem Bogen, der es Belknap sogar ermöglichte, rascher zu ihm aufzuschließen.
Belknaps Hände hielten das Steuer umklammert; sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er kam näher, näher.
Er konnte Jared jetzt im Halbprofil sehen, seine hohen Backenknochen und die Schatten darunter erkennen.
Lauf nicht vor mir weg!
»Jared!«, brüllte er.
Der andere Mann gab keine Antwort, drehte sich nicht einmal nach ihm um. Hatte er ihn beim Röhren der Motoren, dem lauten Wellenschlag überhaupt gehört?
»Jared! Bitte!«
Rinehart blieb jedoch unbeweglich aufrecht stehen, schien ein nur für ihn sichtbares Ziel zu fixieren.
»Warum, Jared? Warum?«, rief Belknap verzweifelt laut.
Das Röhren des Galias wurde lauter, aber dann ging es in einem alles andere übertönenden Heulen unter: dem dröhnenden Warnsignal eines Frachters.
Gleichzeitig beugte Jared sich nach vorn, um die Einstellung zu verändern. Sein Boot schoss mit höher aus dem Wasser ragenden Bug davon und vergrößerte rasch den Abstand zwischen ihnen.
Der große Frachter kam auf der Seestraße von der Akrotiri-Bai im Westen herein. Dieser unter liberianischer Flagge laufende schwarze Riese gehörte zu den scheinbar unübersehbaren Ungetümen, die man auf offener See trotzdem leicht übersehen konnte. Pollux hielt mit dem Galia jetzt genau auf den Bug des Frachters zu. Wahnsinn! Er kam dem Bug selbstmörderisch nahe. Eine hohe Woge nahm Belknap die Sicht. Er fragte sich, ob Jared etwa tatsächlich Selbstmord verüben wollte. Wenige Sekunden später wurde ihm klar, was Rinehart beabsichtigt hatte.
Keine Trümmer. Keine Wrackteile. Überhaupt nichts. Jared hatte sein Ziel erreicht: Er war jetzt hinter dem Frachter unsichtbar.
Belknap kannte die Grenzen der eigenen seemännischen Erfahrung gut genug, um nicht zu versuchen, sich dem Frachter zu nähern oder sein gefährliches Kielwasser zu durchqueren. Statt dessen lief er parallel zu dem Schiff weiter, um es zu überholen und die Wasserfläche hinter ihm übersehen zu können. Belknap
stand am Ruder und drehte das Steuerrad, das an ein Autolenkrad erinnerte, scharf nach rechts. Währenddessen spähte er über die von Gischt blinde Windschutzscheibe hinweg.
Endlich erreichte Belknap die angestrebte Position weit vor dem Frachter. Das liberianische Ungetüm war ein Massengutfrachter; er konnte Bauxit oder Orangensaft, Kunstdünger oder Weizen transportieren. Das Schiff hatte schätzungsweise 30 000 BRT und war mindestens zweihundert Meter lang. Jetzt überblickte er die Wasserfläche dahinter. Er suchte die im Sonnenschein blendend hell glitzernde See ab und spürte dabei, wie ihm ein kalter Schauder über den Rücken lief.
Jared Rinehart – sein Freund, sein Feind – war verschwunden.
Als Belknap in den Jachthafen zurückkehrte, war er innerlich so aufgewühlt wie das Meer vor der Insel. War Rinehart überhaupt wirklich entführt worden? Oder war auch das ein raffiniertes Täuschungsmanöver gewesen?
Die quälenden Verdachtsmomente kehrten zurück. Die Vorstellung, sein bester Freund und Seelenverwandter – wirklich Castors Pollux – sei ein Verräter, nicht zuletzt an ihm, traf ihn wie ein Messerstich ins Herz. Zum tausendsten Mal suchte er eine andere Erklärung. Dabei fiel ihm wieder Jareds ängstlicher Gesichtsausdruck ein: das Gesicht eines Mannes, für den Belknap eine Gefahr darstellte. Weshalb? Weil Belknap nun seine Täuschungsmanöver durchschaute – oder gab es dafür einen anderen Grund? Die Fragen stiegen auf, brandeten gegen ihn an und erfüllten ihn mit einer Übelkeit, die ihm schlimmer zusetzte als Seekrankheit.
Inmitten aller Turbulenzen ein einziger tröstlicher Gedanke: das Wissen, dass Andrea hier war. Das zeigte ihm ein Blick auf seine Armbanduhr. Für sein Berufsleben charakteristisch waren seltene Freundschaften und viel Einsamkeit gewesen. Auch aus diesem Grund
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