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Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)

Titel: Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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hatte Pollux ihm so viel bedeutet. Agenten im Außendienst sollten nirgends Wurzeln schlagen, und wer sich nicht
an Einsamkeit gewöhnte, schied meistens bald aus. Aber man konnte einen Zustand ertragen, ohne davon begeistert zu sein, und jetzt sehnte er sich mehr denn ja nach einem Aufschub, einer Atempause. Er sah nochmals auf seine Uhr.
    Sie würde in ihrem Hotelzimmer auf ihn warten. Er würde nicht mehr allein sein.
    Auf der Fahrt zu den Hotel-Apartments Livadhiotis musste er sich dazu zwingen, auf die Straße, den Verkehr, die anderen Autos zu achten. Seine Geschwindigkeit richtete sich nicht nach den aufgestellten Verkehrszeichen, sondern nach den Einheimischen, die alle viel schneller fuhren. Das Hotel zeichnete sich nicht durch übermäßigen Luxus aus, lag aber sehr verkehrsgünstig, und Belknap begutachtete die verschiedenen Fahrzeuge, die in Richtung Hafen oder Flughafen unterwegs waren. Ein gelbroter DHL-Kastenwagen, dessen Fahrer bei offenem Fenster seinen behaarten Arm aufstützte, als müsse er das Dach hochhalten. Ein grün-weißer Tankwagen, der Propangas transportierte. Ein fahrbarer Betonmischer mit seiner sich langsam drehenden Trommel. Ein weißer Lieferwagen mit der Aufschrift Sky Café .
    Er spürte seine Kopfhaut kribbeln und sah wieder auf seine Uhr. Es war falsch gewesen, Andrea herkommen zu lassen; er hätte sich mehr bemühen müssen, sie davon abzuhalten. Das hatte er nicht getan, weil ihr Entschluss festgestanden hatte. Aber hatte dahinter auch gesteckt, dass ein Teil seines Ichs sich ihre Anwesenheit gewünscht hatte?
    Das Livadhiotis hatte eine große, braune Markise, auf der wie in Stein gehauen der Name der Hotel-Apartments stand. In dem Fahnenhalter darüber steckten die anscheinend willkürlich ausgewählten Fahnen von neun Nationen, die sich vergeblich bemühten, dem Haus einen internationalen Anstrich zu geben. Über dem Erdgeschoss kamen drei Etagen mit fast halbkreisförmigen Bogenfenstern. Alle Zimmer hatten eine Kochnische – das machte sie zu »Apartments« – und den vertrauten Modergeruch
von Billigbauten in heißem Klima. Ein Mann in einem Elektrorollstuhl blaffte einen Gruß, als Belknap hereinkam. Auf seinem von geplatzten Äderchen durchzogenen Gesicht stand ein Glanz, der Belknap an bestimmte tropische Pflanzen erinnerte. Seine knotigen Hände wirkten noch immer sehr kräftig. Irgendetwas an seinem Blick war unaufrichtig: servil und aggressiv zugleich.
    Belknap hatte es jedoch zu eilig, um sich mit dem Behinderten an der Rezeption aufzuhalten. Er ließ sich seinen Schlüssel geben – einen altmodischen europäischen Zimmerschlüssel mit einem schweren Messinggewicht, den man beim Verlassen des Hotels am Empfang abgab – und fuhr in sein Zimmer im ersten Stock hinauf. Der Aufzug war klein und langsam; nach dem Aussteigen gelangte er in einen halbdunklen Flur. Die Beleuchtung wurde von einer Zeituhr gesteuert, fiel ihm jetzt ein: eine weitere Sparmaßnahme. In seinem Zimmer war der Modergeruch stärker. Belknap schloss die Tür hinter sich, sah Andreas Gepäck vor der billig furnierten Kommode auf dem Fußboden stehen und empfand aufkommende Erleichterung. Er hatte weit öfter an sie gedacht, als seine Ermittlungen hätten rechtfertigen können. Ihr Duft, ihr Haar, ihre glatte, matt glänzende Haut: Die Erinnerung an das alles hatte er nicht hinter sich lassen können, als er über den Atlantik geflogen war.
    »Andrea!«, rief er. Die Tür zum Bad stand halb offen, im Zimmer war es wegen der herabgelassenen Jalousien dunkel. Wo war sie? Vielleicht in einem der umliegenden Cafés, um den Jetlag zu überwinden. Der Bettüberwurf sah leicht derangiert aus, als habe sie sich darauf ausgestreckt, um ein Nickerchen zu machen. Dann begann sein Herz zu jagen, weil es rascher begriff als sein Verstand. Der zusammengefaltete weiße Zettel auf dem Nachttisch war eine Nachricht.
    Belknap griff danach, überflog den kurzen Text und war wie benommen vor Angst und Wut. Er zwang sich dazu, die beiden
Zeilen erneut zu lesen. In seinem Magen schien ein Eisklumpen zu liegen.
    Alles an dieser Mitteilung steigerte seine Angst. Sie war mit Bleistift auf Briefpapier des Hotels geschrieben – beides würde jede forensische Untersuchung illusorisch machen. Und das Wort »Entführung« kam im Text gar nicht vor. Wir haben die Sendung in Empfang genommen, hieß es darin. Genießen Sie Ihren Aufenthalt. Aber was ihm wirklich das Blut in den Adern gerinnen ließ, war die Unterschrift:

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